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Friedhof Huckelriede Weg zur Kapelle
Kristina Bumb

Das letzte Geleit für Verstorbene ohne Angehörige

Ehrenamtliche nehmen an anonymen Bestattungen teil, um einen menschenwürdigen Abschied zu ermöglichen

Es könnte sich um einen typischen Novembermorgen handeln: Graue Wolken verschleiern den Himmel, es nieselt, eine Baustelle an der Straße lärmt und gelegentlich rieselt Herbstlaub von den Bäumen. Doch für eine kleine Gruppe Menschen auf dem Friedhof Huckelriede ist es kein typischer Morgen. Die Anwesenden sind Ehrenamtliche der Initiative „Das letzte Geleit“, die einmal pro Monat an Bestattungen von Menschen ohne Angehörige teilnehmen. Sie haben sich an diesem Novembertag versammelt, um der Bestattung von verstorbenen Bremerinnen und Bremern beizuwohnen, die sie gar nicht kennen und um die sie trotzdem trauern.

Weg auf dem Friedhof Huckeriede
Der Friedhof Huckelriede zählt zu den größten in Bremen. Viele Wege führen über das weitläufige Gelände. Kristina Bumb

Sozialressort bezahlt Urnenbegräbnisse

Wenn jemand ohne Familie, Geschwister oder Kinder verstirbt und sich keine Erbenden um das Begräbnis kümmern, dann bezahlt das Bremer Sozialressort eine einfache, würdevolle Bestattung. Vielleicht meldet sich auch niemand aus dem persönlichen Umfeld für diese Pflicht, weil schlicht das Geld fehlt. Möglicherweise ist der oder die Tote obdachlos gewesen oder die Angehörigen sind nicht auffindbar, weil die Familie zerbrochen ist. Auch in diesen Fällen springt das Sozialressort ein. Die Verstorbenen werden dann eingeäschert und erhalten ein Urnenbegräbnis in einem anonymen Rasengrab.

Dank der Ehrenamtlichen des letzten Geleits bleiben die Toten aber nicht anonym. „Wir wollen der Gesellschaft ein Gesicht geben“, sagt Bernhard Siepker. Der Bremer ist von Beginn an beim letzten Geleit dabei und die Teilnahme ist ihm, wie auch den anderen rund zehn Ehrenamtlichen, ein Herzensbedürfnis. „Die Verstorbenen sind Menschen, die unter uns gelebt haben. Wir möchten, dass der Abschied menschenwürdig ist“, hält er fest.

Jeden Monat kommt das letzte Geleit zusammen

Jeden ersten Montag im Monat treffen sich die Ehrenamtlichen um 10 Uhr, um eine Stunde ihrer Zeit der Grablegung der Verstorbenen zu widmen.  Fällt ein Feiertag auf den Montag, verschiebt sich der Termin um eine Woche.  In diesem Jahr finden die Bestattungen stets auf dem Friedhof Huckelriede statt. Ab 2023 ist der Waller Friedhof, im Folgejahr der Riensberger Friedhof an der Reihe.  Immer im Wechsel halten ein evangelischer und ein katholischer Geistlicher die Andacht zum Gedenken an die Verblichenen. Die Initiative ist stets offen für neue Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Trauerzug beim letzten Geleit
Pastor Rüdiger Kunstmann und die kleine Trauergemeinde folgen den Totengräbern mit den Urnen. Kristina Bumb

Wer waren diese unbekannten Menschen?

An diesem Novembertag trifft sich die Gruppe an der Kapelle auf dem Huckelrieder Friedhof. In einem kleinen Raum sind die Urnen aufgebahrt. Die Besucher lesen die Aufschriften auf den schwarzen Behältnissen, die den Namen, Geburts- und Sterbedatum enthalten. Menschen sind darunter, die im hohen Alter entschlafen sind – auch jüngere, die noch mitten im Leben stehen sollten. Eine nachdenkliche Stimmung herrscht unter den anwesenden Männern und Frauen. Wer waren diese Toten und warum kommt niemand, um sich zu verabschieden? Waren sie ganz allein in dieser großen Stadt voller Menschen? Oder waren sie so arm in diesem reichen Land, dass sie sich keine Beerdigung leisten konnten? Man wird es nicht mehr erfahren. Eine Ehrenamtliche verharrt vor den Urnen und spricht ein stilles Gebet.

Bremer Kirche und Bestatter unterstützen „Das letzte Geleit“

Trauerzeremonie beim letzten Geleit
In einer Andacht wird an die Verstorbenen erinnert. Kristina Bumb

Neben den Ehrenamtlichen des letzten Geleits sind an diesem Termin auch der evangelische Pastor Rüdiger Kunstmann und Bestatter Hendrik Tielitz dabei. Mit leisen Worten verständigt man sich, nun zum Trauerzug zur Grabstelle aufzubrechen. Der Umweltbetrieb Bremen, der in der Hansestadt für die Friedhöfe zuständig ist, hat zwei Totengräber geschickt. Sie ziehen den Wagen, auf dem die Urnen befördert werden. Hinter dem Trauerzug fährt der auf Hochglanz polierte schwarze Mercedes-Oldtimer des Bestattungsinstitutes Tielitz, in dem sich weitere Urnen befinden. Meistens handelt es sich um zwölf Verstorbene, die vom letzten Geleit begleitet werden. Heute sind es insgesamt 24 Bremerinnen und Bremer, die zu Grabe getragen werden.

„Die Toten kommen aus allen Bremer Stadtteilen. Manchmal kümmert sich die religiöse Gemeinde um eine solche Bestattung, wenn es um Obdachlose geht auch die Diakonie. Aber wenn man gar keine Anhaltspunkte hat, dann sind wir das letzte Geleit“, erzählt Hendrik Tielitz. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Laura leitet er ein alteingesessenes Beerdigungsinstitut am Riensberger Friedhof. Schon der Vater von Laura Tielitz – ebenfalls Bestatter – engagierte sich beim letzten Geleit, das 2005 ins Leben gerufen wurde. Wohlgemerkt sind alle ehrenamtlich und unentgeltlich vor Ort. „Die Gesellschaft wird immer anonymer, aber wir sollten niemanden namenlos verschwinden lassen. Jedem Menschen und jedem Verstorbenen gilt derselbe Respekt. Unser Haus steht voll hinter diesem Gedanken“, begründet Hendrik Tielitz sein Engagement.

Bestattungszeremonie beim letzten Geleit
Voller Sorgfalt setzen die Totengräber jede einzelne Urne bei. Kristina Bumb

„Niemand von Euch soll allein bleiben, vergessen werden und verloren gehen“

Der Trauerzug kommt an der Rasenstelle an, wo schon 24 Gräber ausgehoben sind. Pastor Rüdiger Kunstmann hält eine Andacht und man merkt ihm an, dass ihn die Bestattung dieser Menschen nicht unberührt lässt. „Niemand von Euch soll allein bleiben, vergessen werden und verloren gehen“, sagt er in seiner Predigt. Gemeinsam beten die Ehrenamtlichen, hören noch einmal die Namen der Toten und sprechen zum Schluss das „Vater unser“. Die Totengräber senken dann voller Sorgfalt jede Urne in ihre letzte Ruhestätte und nehmen die Kopfbedeckung ab, um sich von jedem Toten einzeln zu verabschieden. Hendrik Tielitz verteilt 24 Rosen, sodass jeder Entschlafene noch einen liebevollen Blumengruß bekommt. Dann zerstreut sich die Gruppe und strebt dem Ausgang des Friedhofs zu.

„Es ist schade, dass es nur ein Rasengrab ohne Gedenkstein für die Verstorbenen mit Sozialbestattung gibt“, sagt Bernhard Siepker. Schöner als die schmucklose Rasenfläche findet er Urnengärten, wo in Steinstelen die Namen der Toten eingemeißelt sind und Besucher Blumen ablegen können. „Man braucht einen Ort, zu dem man gehen kann, um zu trauern und sich zu erinnern.“ Manche Bestattungen in den langen Jahren, die er beim letzten Geleit dabei ist, sind ihm besonders nahe gegangen: „Einmal war eine kleine weiße Urne dabei, in der ein Kind bestattet wurde. Ich habe mich gefragt, wo sind die Eltern? Wie kommt so etwas, dass ein Kind ganz alleine beerdigt werden muss?“ Doch er findet auch Trost in solchen Situationen, „aus dem christlichen Gedanken: Du fällst nie tiefer als in Gottes Hand“.

Informationen zu Terminen und Treffpunkten findet man unter www.tielitz.de.

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