
Fotobuch aus Bremen: „Nichts bleibt, wie’s ist“
Der neue Bildband von Matthias Duderstadt und Harald Rehling zeigt Momentaufnahmen der Veränderung
Matthias Duderstadt und Harald Rehling betreten mit ihrem neuen Bildband „Nichts bleibt, wie’s ist“ 2024 erneut die Bühne der fotografischen Erzählkunst. Schon 2023 hatten die beiden Bremer mit „Davor & dahinter – Darüber & darunter“ ein originelles und hintersinniges Bremer Fotobuch vorgelegt.
Der neue Band stellt wiederum Bildmotive und Texte gegenüber. Doch dieses Mal rückt er das Davor und Danach, also Zeit und Veränderung in den Mittelpunkt. Die Fotografie wird zur Zeitmaschine. Eine visuelle Reise entfaltet sich, die dazu einlädt, über den bloßen Akt des Wahrnehmens hinauszugehen – von einem im Eis gefangenen Blatt bis hin zu historischen Stadtaufnahmen nach den Zerstörungen des Krieges. Duderstadt und Rehling spielen mit der Erwartung dessen, was folgt, wenn man die Seite umblättert. Sie schaffen so ein Erlebnis, das sowohl Reflexion als auch Anteilnahme fordert.

Ihr letztes Fotobuch hieß „Davor & dahinter – Darüber & darunter“, das jetzige „Nichts bleibt, wie’s ist“. Was hat es damit auf sich?
Matthias Duderstadt: Beim ersten ging es um die räumlichen Dimensionen, hier sind es die zeitlichen Dimensionen, die uns interessiert haben und die man beim Blättern durch den Band miterlebt. Wir haben nach Veränderungen gesucht, die es beim Menschen, in der Landschaft, aber auch in der Stadt gibt – zum Beispiel eine Baustelle am Bremer Bahnhof, die wir am Tag und in der Nacht fotografisch festgehalten haben. Auch Veränderungen, die durch die Jahreszeiten erzeugt werden – etwa ein Blatt, das im Eis gefangen ist und dann im Frühjahr wieder freigegeben wird, wenn das Wasser wieder flüssig wird.

Sie haben also tatsächlich ein einzelnes Blatt im Eis fotografiert und Monate gewartet, bis Sie es im Frühling zum zweiten Mal fotografiert haben?
Ja, es lagen zum Teil lange Monate dazwischen. Zum Teil auch Jahrzehnte. Denn wir haben mit Unterstützung des Bremer Staatsarchives auch historische Fotografien der Stadt nach den Bombenangriffen des Zweiten Weltkriegs und heutzutage gegenübergestellt. Wir haben ein Jahr durchgehend an dem Band gearbeitet und hatten ein ziemliches Reservoir an Fotos, aus dem wir am Ende etwa die Hälfe ausgewählt haben. Uns war dabei wichtig, dass der Bildband nicht so trocken ist. Es sind humorvolle Bilder und Texte dabei, aber auch aktuelle politische und gesellschaftliche Themen. Dabei können Bremerinnen und Bremer Bezüge zu ihrer Stadt entdecken. Aber der Bremen-Bezug ist nicht so explizit, dass das Fotobuch nur für hier lebende Menschen spannend ist.
„Man muss sich Zeit nehmen für das Blättern und Denken.“

Das Fotobuch wirkt fast wie ein Daumenkino im Taschenbuchformat. Sie stellen zwei Bilder auf Folgeseiten gegenüber, die jeweils mit Texten ergänzt sind.
Ich finde den deutlichen Bruch spannend, der durch das zeitliche Fortschreiten deutlich wird. Der Effekt des Blätterns unterstützt das mehr, als wenn die Bilder auf einer Seite nebeneinander ständen. Eines meiner Lieblingsmotive ist ein Baum im Ostertor, der ohne Laub fast aussieht wie eine Holzskulptur – und erst mit Blättern dann wie ein richtiger Baum.
Die Texte unterstützen diesen Bruch auf eigene Weise. Denn sie spielen mit dem Erwartungshorizont, mit dem wir an das Gesehene und Gelesene herangehen. So rufen Text und Bild auf der ersten Seite bestimmte Erwartungen hervor, was auf der zweiten Seite zu sehen und zu lesen ist. Wenn man umblättert und es kommt etwas ganz anderes, muss man all das zusammenbringen.
Es entstehen beim Blättern also nicht nur die Bilder, die man direkt wahrnimmt, sondern auch eine Reihe von Bildern, die man sich noch dazuspinnt, weil man etwas Bestimmtes erwartet. Vielleicht tut man das auch, weil man Assoziationen an die eigene Vergangenheit oder zu eigenen Wunschträumen hat.
Darauf muss man sich einlassen können. Man muss sich Zeit nehmen für das Blättern und Denken. Dann macht das Buch am meisten Spaß. Und nicht, wie heute oft üblich, immer schnell über das Handy wischen zum nächsten Bild.
Fotobuch „Nichts bleibt, wie’s ist“ sinniert über die Macht zur Veränderung
Wenn man durch Ihr Fotobuch blättert – insbesondere durch die Seiten zu Flora und Fauna –, sieht man seinen negativen Erwartungshorizont meistens bestätigt.

Das Thema hat nach Meinung von Harald Rehling und mir wirklich große, aktuelle gesellschaftliche Bedeutung – wenn man allein an das Sterben der Bienen denkt, die vier Fünftel unserer Pflanzen bestäuben, oder an den Verlust der Artenvielfalt bei den heimischen Schmetterlingen. Das Tragische dabei ist: Wenn man sie nie kennengelernt hat, wird man sie auch nicht vermissen. Was für eine Welt hinterlassen wir unseren Kindern? Eine viel weniger bunte Welt, in der Obst und Gemüse Luxus für Reiche ist?
Ich hoffe natürlich, das dieser Erwartungshorizont nicht erfüllt wird, aber es stimmt mich sehr nachdenklich, dass man nur wenig positive Erwartungshorizonte pflegt. Noch vor 20 Jahren hätte ich zum Beispiel nie damit gerechnet, dass hinter einer Mauer irgendein Obdachloser liegt. Inzwischen rechne ich damit. Ich gehe an einer Mauer entlang und halte es für möglich. Und dann denke ich darüber nach, was eigentlich mit uns Menschen passiert.
Kann man daran etwas ändern? Oder muss alles bleiben, wie’s ist?
In unserem Buch geht es insgesamt um Veränderung und Veränderbarkeit. Schon im Vorwort machen wir darauf aufmerksam, dass wir natürlich in der Lage sind, einiges zu bewegen.
Wir Menschen sind nicht hilflos. Wenn wir uns mit anderen zusammentun, können wir Dinge verändern. Das kann zum Beispiel in einer außerparlamentarischen Bewegung wie der Klimabewegung geschehen. Was man im Einzelnen auch davon denken mag – zumindest haben diese Bemühungen neue Dynamik in die Politik gebracht.
Das Bremer Fotobuch „Nichts bleibt, wie’s ist“ von Matthias Duderstadt und Harald Rehling ist im Kellner-Verlag erschienen und kostet 22 Euro.