Bremer Bildband „Davor & Dahinter – Darüber & Darunter“
Hintersinniges Fotobuch über die Dinge, die unter der Oberfläche schlummern
Es ist ein cleverer, kleiner Bremer Bildband, den man mit „Davor & Dahinter – Darüber & Darunter“ in den Händen hält. Ein „vergnügliches Hohelied auf die Neugier“ – so beschreibt sich das Fotobuch in seinem Vorwort selbst. Und die Neugier wird tatsächlich angestachelt. Ohne Unterlass blättert man die 240 Seiten durch und fängt dann wieder von vorne an. Auf hintergründige, humorvolle oder auch nachdenkliche Weise stellt das quadratische Taschenbuch kommentierte Fotopaare gegenüber, die einmal die Oberfläche und einmal das dahinter oder darunter Liegende zeigen – Überraschungen inklusive.
Viel mehr als ein Bremer Bildband
Türen, Mauern, Erdboden, geschlossene Augen, schwarze Schatten, Gully-Deckel, Gemälde, runde Dinge, Schmutzschichten… kennt man und sieht man täglich. Doch meistens geht man achtlos daran vorüber. Dabei wäre es spannend, stehen zu bleiben und die Fassade zu lüften, zu entdecken, was sich hinter oder unter der Oberfläche verbirgt. Genau das tut der Bremer Bildband „Davor & Dahinter – Darüber & Darunter“ von Autor Matthias Duderstadt und Fotograf Harald Rehling. Der Kellner-Verlag hat das unterhaltsame Fotobuch herausgebracht.
Die fotografischen Aufnahmen stammen manchmal aus dem Viertel, in dem der Bremer Autor Matthias Duderstadt zu Hause ist. Manchmal aus dem Heimatviertel in Walle, das Matthias Duderstadt und Harald Rehling wegen der Urtümlichkeit, der winzigen Stadthäuser und der versteckten Lage hinter einem Deich fasziniert.
Aber das Fotobuch ist nicht als Bildband über Bremen zu verstehen. Es geht vielmehr auf unterhaltsame Weise um die Philosophie des Sehens und Denkens. So passt es perfekt, wenn der Schriftzug auf dem Umschlag sich zu dem Begriff „DADA“ zusammenfügt. Die Kunstform des Dadaismus kreiste um die Thematik des absoluten Zweifels. Der Bremer Bildband zweifelt denn auch die Seh- und Denkgewohnheiten an . Er fordert dazu auf, neu hinzusehen und die Welt mit offenen Augen zu betrachten.
Seh- und Denkgewohnheiten hinterfragen
Die Gestaltung erinnert ein wenig an Memory, bei dem man Spielkarten mit Bildpaaren finden muss, oder an das Kuckuck-Spiel, mit dem Eltern ihren Nachwuchs zum Lachen bringen. Und so zeigt das erste der unzähligen, klug kommentierten Bilderpaare auch ein von Händen verdecktes Gesicht, das auf der nächsten Seite enttarnt wird.
Die Hände verdecken das Gesicht zwar auf einfache Weise, aber perfekt. Es ist gänzlich unklar, was nach dem Umblättern zu sehen sein wird. Vielleicht ein freches Mädchen, das die Zunge herausstreckt? Vielleicht eine elegant geschminkte Dame? Vielleicht ein Mann mit hochgesteckten Haaren und Schnurrbart? Der Effekt ist erstaunlich und zeigt, wie stark wir in unserem alltäglichen Miteinander von Seh- und Denkgewohnheiten geprägt sind. Und dass es sich lohnt, diese Gewohnheiten zu hinterfragen. „Unser Buch hat auch etwas mit künstlicher Verlangsamung zu tun. Die Menschen wischen mittlerweile auf ihren Handys ein Bild nach dem anderen weg und schauen nicht mehr wirklich hin“, sagt der Bremer Schriftsteller Matthias Duderstadt.
Bilderrätsel sind auch für aufgeweckte Kinder spannend
„Unser Buch soll Spaß machen“, hält Autor Matthias Duderstadt fest. „Am besten funktioniert es, wenn man vor dem Umblättern der Seite rätselt, was dahinter steckt.“ Es ist auch für Kinder eine vergnügliche Angelegenheit, wenn plötzlich Katzen aus dem Untergrund auftauchen, ein Schatz unter Laub ausgegraben wird oder runde, weiße Vasen von hinten ganz anders und verrückt aussehen. „Unser Bildband ist durchaus ein Familienbuch, was man mit aufgeweckten Kinder durchrätseln kann“, sagt Matthias Duderstadt.
Der Bremer Schriftststeller blickt übrigens auf zahlreiche Veröffentlichungen zurück. Mit „Das Schiff-Buch“ und „Das Material-Buch“ aus dem Verlag Sauerländer stand er auf der Auswahlliste für den Deutschen Jugendbuchpreis.
Der spielerische Aspekt ist eine Besonderheit des literarischen Fotobuches. Es durchbricht die Grenzen von Buch und Gesellschaftsspiel. Damit reiht es sich in den aktuellen Trend zum spielbaren Buch ein – ohne damit seinen tiefsinnigen Anspruch aufzugeben. Krimis zum Mitraten, Escape-Room-Geschichten, Pen-and-Paper-Rollenspiele – das Game Book oder Spiel-Buch fesselt die Leserinnen und Leser mit seiner Interaktivität. Das schafft auch der kreative Bremer Bildband problemlos.
Neuer Bremer Bildband: Wie es ist, bleibt nichts
Auf die Idee zu dem besonderen Bremer Bildband kam Autor Matthias Duderstadt, als er täglich an einer Reihe Mülltonnen vorbei lief. „Die Tonnen verdeckten eine dahinterliegende Treppe. Irgendwann fragte ich mich, was sich eigentlich auf dieser Treppe befindet. Und eines Tages sah ich dort zwei Kinder, die ein Buch anschauten“, erzählt er. Der überraschende Anblick inspirierte den Bremer Schriftsteller und den befreundeten Fotografen Harald Rehling, einen ganzen Bildband zu gestalten. Ein Jahr lang sammelten sie Fotos und Ideen, bis das 240-seitige Taschenbuch entstanden war.
Und damit nicht genug: Die Resonanz auf den quadratischen Fotobildband ist duchweg positiv. Und so haben sie schon den Folgeband in Arbeit. Er soll sich unter anderem mit zeitlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen auseinander setzen. Arbeitstitel: Wie es ist, bleibt nichts.
Der Bremer Bildband „Davor & Dahinter – Darüber & Darunter“ von Matthias Duderstadt und Harald Rehling ist im Kellner Verlag erschienen. Das Taschenbuch hat 240 Seiten und kostet 16 Euro.