Corona: Hilfe bei Einsamkeit und seelischer Not
Interview mit Bremer Seelsorger sowie Tipps gegen den Lagerkoller und für Beratungsangebote
Die Corono-Pandemie stellt die Menschen weltweit vor Herausforderungen: Sorgen um die Gesundheit, die Arbeitswelt ist fast komplett aus den Fugen geraten, Geschäfte, Lokale, Schulen und Kitas sind geschlossen. Es gelten strenge Kontaktbeschränkungen, und das Leben spielt sich vorrangig in den eigenen vier Wänden ab. Das alles kann vielfältige Ängste, Konflikte sowie seelische Probleme und Einsamkeit verursachen. Doch es gibt auch in diesen Zeiten Hilfe – auf ganz unterschiedliche Art und Weise.
Niemand muss allein durch die Corona-Krise
Da sind zum Beispiel private und offizielle Initiativen wie von der Seniorenvertretung, die Postkartengrüße an Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen schreiben, die aktuell keinen Besuch bekommen dürfen. Zudem sind viele hilfreiche Tipps gegen den Lagerkoller online zu finden, wenn Familien und Haushaltsangehörige rund um die Uhr aufeinanderhocken. Darüber hinaus gibt es etwa telefonische Beratungen bei schwerwiegenderen psychischen Problemen und Familienkonflikten wie Gewalt zwischen Angehörigen. Auch die Telefonseelsorge leistet einen wichtigen Beitrag. Diese ist unter den bundesweiten Rufnummern 08 00/1 11 01 11 und 08 00/1 11 02 22 erreichbar. In Bremen bietet die evangelische Kirche zudem den Service „Kirche am Hörer” und die katholische Kirche die psychologische Beratungsstelle „Offene Tür Bremen“.
„Jemanden zum Reden haben“
SPOT Bremen sprach mit Pastor Peter Brockmann von der Telefonseelsorge in Bremen über seine Arbeit in der Corona-Zeit.
Verzeichnen Sie mehr Anrufe, seit die Corona-Pandemie grassiert?
Peter Brockmann: In den Medien wird teilweise von 50 Prozent mehr Anrufen gesprochen. Wenn wir unsere Statistiken anschauen, liegen wir bei 20 Prozent. Dabei beschäftigen die Anruferinnen und Anrufer ganz unterschiedliche Dinge mit Blick auf die Einschränkungen und die Folgen durch die Corona-Krise.
Welche Fragen und Sorgen sind das?
Es geht um Existenzsorgen und Einsamkeit, aber auch um Sachen, die nicht so dramatisch und ganz praktisch sind. Dazu gehört zum Beispiel die Frage, wie man sich vor dem Corona-Virus schützen kann. Viele setzen sich der Informationsflut in den Medien ungefiltert aus, das kann durchaus die eigenen Befürchtungen verstärken.
Was raten Sie den HIlfesuchenden?
Wenn die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter feststellen, dass jemand mit den vielen Informationen rund um die Corona-Krise überfordert ist – dann raten wir, Radio und Fernseher auszustellen, Nachrichten dosiert an sich heranzulassen und sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Es hat auch trotz Corona noch viel anderes Platz im Leben. Grundsätzlich sind wir aber vorsichtig mit Ratschlägen. Das betrifft auch das Thema Einsamkeit.
Können Sie das näher erläutern?
Fühlen sich Menschen einsam, dann reicht es in der Regel, jemanden zum Reden zu haben und zu wissen: Da ist jemand, der hört mir zu, jemand, dem ich meine Sorgen anvertrauen kann. Das klingt banal, aber Gespräche sorgen für emotionales Wohlbefinden. Und es geht nicht darum, Wunder zu bieten. Wichtig ist, dass jede und jeder anrufen kann. Dafür muss es auch niemandem richtig schlecht gehen. Manchen reicht es schon, auch mit Außenstehenden darüber zu sprechen, dass man traurig ist, weil man gerade keinen direkten Kontakt zur Familie haben kann.
Viele befürchten durch die aktuellen Beschränkungen auch eine Zunahme familiärer Konflikte …
Ja, das ist richtig. Der normale Alltag ist komplett weggebrochen. Die Schulen sind zu, Sportvereine geschlossen und Homeoffice die neue Realität. Außerhäusliche Kontakte sind fast komplett weggebrochen. Wenn es schon vorher innerhalb der Familie Spannungen gab, dann treten diese nun noch deutlicher zutage. Doch dies kann im Idealfall auch eine Chance sein, sich jetzt damit auseinanderzusetzen und Lösungen zu finden. Wenn dies allerdings nicht funktioniert, kann es aber auch zu unkontrollierten emotionalen Ausbrüchen kommen. Die Folgen für die Familie sind dann schwer absehbar. Aber es gibt psychologische Hilfen, zum Beispiel durch die Familienberatung.
Wer nutzt die Telefonseelsorge vorrangig?
Die meisten Anrufe erhalten wir von Menschen zwischen 40 und 69 Jahren. Jüngere nutzen eher die Chats der Seelsorge.
Hat sich aus Ihrer Sicht die Stimmungslage in den vergangenen Wochen etwas beruhigt?
Ja. Waren anfangs viele noch sehr aufgeregt, krisenhaft und kopflos, hat jetzt eine andere Phase begonnen. Viele sind beruhigter, weil sich bestimmte Befürchtungen nicht bewahrheitet haben. Und es herrscht das Gefühl: Wir müssen jetzt nur noch eine Weile durchhalten und dann können wir langsam in einen normaleren Alltag zurückkehren.
Beratungsangebote in der Corona-Krise
- Familiennetzwerk Bremen: Alltagshilfen, Krisenhilfe und Online-Beratung sowie Beschäftigungsmöglichkeiten für Familien.
- Notruf – psychologische Beratung bei sexueller Gewalt: Neben telefonischer gibt es auch Beratung via E-Mail und Chat.
- Nachtwerk Bremen: Das Projekt ist ein Angebot zur psychiatrischen Soforthilfe für Menschen in psychischen Krisen und Belastungssituationen.
- Trauerland: Zentrum für trauernde Kinder und Jugendliche, aktuell mit speziellem Video-Angebot und telefonischem Beratungsangebot unter 04 21/69 66 72 80.
- Fluchtraum Bremen: Unterstützung für junge Geflüchtete.
- Freie Hansestadt Bremen: Übersicht über Beratungsangebote bei häuslicher Gewalt. Hier finden sich Links zu Frauenhäusern und zu speziellen Anlaufstellen für Jungen und Männer.
- Kassenärztliche Vereinigung Bremen: Dort können zum Beispiel Psychotherapeuten gesucht werden. Viele halten auch Video-Sprechstunden ab.
Tipps gegen den Lagerkoller
Damit es gar nicht erst zu Konflikten innerhalb von Familien kommt, weil es kaum noch Freiräume gibt, hat SPOT Bremen eine Liste mit Tipps zusammengestellt.
- Bestimmte Routinen in der Familie aufrechterhalten.
- Im Rahmen der Kontaktbeschränkungen an die frische Luft gehen.
- Statt im Fitnessstudio zu Hause Sport treiben.
- Regeln für das Zusammenleben aufstellen – inklusive der Schaffung von Freiräumen.
- Die Zeit zu Hause für Tätigkeiten nutzen, die man immer wieder aufgeschoben hat. Das schafft Erfolgserlebnisse.
- Soziale Kontakte über das Internet aufrechterhalten.