
Kulturladen Huchting als kreativer Anker
Die Projekte sollen Sichtbarkeit schaffen und den Stadtteil stärken
Der Kulturladen Huchting ist weit mehr als eine kulturelle Einrichtung: Er ist ein Treffpunkt, ein Impulsgeber und ein kreativer Möglichkeitsraum im Bremer Süden. Seit Jahren prägt er das soziale und kulturelle Miteinander im Stadtteil und öffnet Räume für künstlerische Entfaltung und interkulturellen Dialog.
Unter der Leitung von Vera Zimmermann und Claudius Joecke setzt der Kulturladen auf partizipative Projekte, die gesellschaftlich relevante Themen wie Migration, Heimat, Zusammenleben und Umwelt in den Mittelpunkt stellen. Dabei verfolgt er ein klares Ziel: Menschen unabhängig von Alter, Herkunft oder Bildung aktiv in kulturelle Prozesse einzubeziehen. Im SPOT-Interview sprechen die Geschäftsführerin und ihr Kollege über neue Formate, nachhaltige Wirkung und ihre Vision einer „Huchtinger MENSCHLICHKEITsverfassung“.

Der Kulturladen Huchting gilt als kulturelles Herz des Stadtteils. Wie würden Sie selbst den Auftrag und die Rolle Ihrer Einrichtung beschreiben?
Vera Zimmermann: Der Kulturladen ist eine Stadtteilkultureinrichtung, die Angebote kultureller Bildung in den Bereichen Musik, Tanz, Theater, Fotografie, Videografie, Radio, Mixed Media und Bildende Kunst für alle Alters- und Bevölkerungsgruppen im Stadtteil und darüber hinaus bereithält. Er wird von Menschen unterschiedlicher Herkunftskulturen besucht und kooperiert in seinen Projekten mit fast allen öffentlichen Einrichtungen im Stadtteil. Mit seinen generations-, kultur- und spartenübergreifenden Inszenierungen im öffentlichen Raum, bei denen Laien mit professionellen Künstlerinnen und Künstlern zusammenarbeiten, hat sich der Kulturladen über die Stadtteilgrenzen hinaus einen Namen gemacht.
In den vergangenen Jahren wurde der Schwerpunkt auf stadtteilbezogene, interkulturelle und interreligiöse Projekte gelegt, die sich künstlerisch mit den Themen Migration, Integration, Heimat, Flucht und Ankommen sowie den Vorstellungen von einer gemeinsamen Zukunft, individuellen Werten und Würde auseinandersetzen. Zu diesem Zweck wurde die Projektreihe „insan…mensch” ins Leben gerufen, in der kulturpädagogisch und künstlerisch mit Mitteln der künstlerischen Biografiearbeit vorwiegend mit Menschen aus anderen Herkunftsländern gearbeitet wird.
Welches Ziel verfolgen Sie mit dem Projekt?
Vera Zimmermann: Ein Ziel besteht darin, den kulturellen Hintergrund und die Menschen unterschiedlicher Herkunftskulturen als Bereicherung des Stadtteils hervorzuheben und somit zu einer Verbesserung seines Images beizutragen. Diese Projekte werden mit professionellen Künstlerinnen und Künstlern aus den Bereichen Musik, Theater und Bildende Kunst erarbeitet. Die Ergebnisse werden in Form von Ausstellungen mit Live-Präsentationen in Huchting und darüber hinaus präsentiert und waren unter anderem bereits in Südafrika zu sehen. Sie brachten dem Kulturladen den Bremer Integrationspreis, den Bremer Diversitypreis, den Frauenkultur-Förderpreis sowie eine Nominierung für den „Nationalen Integrationspreis der Bundeskanzlerin” ein.

„In Huchting hat das Interesse an der Projektarbeit mit künstlerischen und digitalen Medien zuletzt zugenommen.“
Was bedeutet kulturelle Bildung für Sie – besonders in einem Stadtteil wie Huchting?
Claudius Joecke: In Huchting hat das Interesse an der Projektarbeit mit künstlerischen und digitalen Medien zuletzt zugenommen. Dies wird durch die verstärkte Nachfrage nach kultur- und medienpädagogischen Projekten deutlich. Über das Interesse an der kreativen Arbeit mit Video, Audio und Foto wurde die Basis geschaffen, damit sich die Teilnehmenden im Kulturladen mit ihren persönlichen Themen auseinandersetzen und diese Inhalte dann medial und künstlerisch umsetzen können.

Die Erfahrung zeigt, dass die Beteiligten motivierter an einem Projekt der kulturellen Bildung teilnehmen, wenn am Ende ein Produkt entsteht, das inhaltlich mit ihnen selbst zu tun hat und das man sich anhören und/oder anschauen kann. So konnten in den letzten Jahren viele Projekte mit allen Altersgruppen im Stadtteil realisiert werden, wobei der Schwerpunkt auf die Arbeit mit Menschen aller Herkunftskulturen gelegt wurde. Ein gutes Beispiel ist dabei der Ansatz „Ich kann was mit meinen Ideen und Werten zum Zusammenleben in Vielfalt beitragen!”. So sind mehrsprachige Hörbücher von und für Kinder und Jugendliche unterschiedlicher Herkunftskulturen und Religionen entstanden.
Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren, die sich intensiv auf ein Projekt der Kulturellen Bildung im Kulturladen einlassen, können in diesem Rahmen den „Kompetenznachweis Kultur” der Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung erwerben.
Wöchentlich besuchen rund 400 Menschen den Kulturladen. Was glauben Sie, macht das Angebot so attraktiv und zugänglich?
Claudius Joecke: Mit seinen aufsuchenden Aktivitäten erreicht der Kulturladen eine Vielzahl von Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunftskulturen in Huchting und darüber hinaus. Viele dieser Aktivitäten finden außerhalb des Kulturladens statt. Vor der Pandemie fanden mehr regelmäßige Angebote im Kulturladen selbst statt. Nach der Pandemie hat sich dies zugunsten aufsuchender Aktivitäten außerhalb verändert. Das macht neben der Tatsache, dass die Projektarbeit immer die Themen der Bewohnerinnen und Bewohner bestimmt, die Attraktivität des Kulturladens aus.
„Im ersten Schritt fanden Müllexkursionen und Aufräumaktionen im Quartier statt.“
Das aktuelle Projekt „Mein? Müll – Unsere! Erde“ sind Müllskulpturen am Sodenmattsee. Fische und Vögel entstehen aus Flaschen und Dosen. Was steckt hinter dieser Idee?

Claudius Joecke: Das Projekt konnte an dem Thema „achtlos weggeworfener Müll” und dem damit verbundenen Unbehagen ansetzen, da sichtbarer Müll das Lebensgefühl im Stadtteil unabhängig von Alter, Herkunftskultur, Religionszugehörigkeit und Bildungsstand beeinflusst. Das Projekt griff die Beschwerden über verschmutzte Straßen, Plätze und Parkanlagen, überfüllte Container und illegale Müllablagerungen im Stadtteil kreativ auf. Ein Ziel war es, mehr Abfallbehältnisse in den Stadtteil zu bringen, was leider nicht gelungen ist. Im ersten Schritt fanden Müllexkursionen und Aufräumaktionen im Quartier statt. Sie erhielten wie immer gutes Feedback. Um die geäußerten Bedarfe und Anliegen der Bewohnerinnen und Bewohner sowie den direkten Alltagsbezug aufzugreifen, wurde das Projekt für Kinder im Vorschul-, Grund- und Oberschulalter sowie für Familien angeboten.
Wie wurde es dann in der Praxis umgesetzt?
Claudius Joecke: Zunächst wurden Gestaltungsentwürfe für die Anbringung der neuen Behälter direkt hinter den bereits existierenden öffentlichen Abfallbehältern in der Nähe der jeweiligen Kita beziehungsweise Schule entwickelt. Im zweiten Schritt wurden für die neuen Behälter individuelle malerische und grafische Farbentwürfe erstellt. Nach der Auswahl der Entwürfe im Stadtteil wurde im Kulturladen-Atelier mit kunst- und kulturpädagogischer Unterstützung gemeinsam mit den Beteiligten aus den Kitas und Schulen mit der Arbeit begonnen. Die kulturpädagogischen Kräfte übernahmen die sprachliche Vermittlung des komplexen Projektthemas sowie die künstlerisch-technische Vermittlung für die Gestaltung der Müll-Objekt-Kunstwerke. Im Rahmen einer „Seerunde” mit den Tieren der Stadtteilfarm und in Anwesenheit interessierter Vertreterinnen und Vertreter der Stadtteilöffentlichkeit, der öffentlichen Verwaltung und der Bürgerschaft erfolgte die Einweihung. Das Projekt zeigte den Bewohnerinnen und Bewohnern, dass ihre Sorgen ernst genommen wurden und dass es Angebote zum Mitmachen für alle Altersgruppen ab dem Vorschulalter und für alle Herkunftskulturen gab.
Insgesamt führten die Teilnehmenden fünf Müll-Entdeckungstouren im Stadtteil durch. Sie suchten die zehn wichtigsten Orte als Aufstellorte für die künstlerisch gestalteten Müllobjekte aus, die sich hauptsächlich rund um den Sodenmattsee befinden. Insgesamt mehr als 60 Teilnehmende formulierten mehrsprachig ihre Ideen und Wünsche für ein sauberes, nachhaltiges Huchting für die zehn ausgesuchten Abfallbehälter. Daraus sind aufwendige Tierobjekte aus Wertstoffen entstanden, die jetzt auf drei bis vier Meter hohen Gerüstbohlen angebracht sind.

„Es wurde deutlich, dass das Thema ‚(Mit)MENSCHsein!‘ unsere Arbeit in der nächsten Zeit maßgeblich bestimmen soll.“
Welche Themen oder Projekte möchten Sie in Zukunft verstärkt angehen?
Vera Zimmermann: Nachdem im bislang größten Projekt des Kulturladen „WÜRDE! – Die Ausstellung“ 148 Menschen zu ihrer individuellen Sicht auf das Thema Würde großformatig porträtiert wurden, ist uns allen deutlich geworden, wie wichtig die Würde im Leben ist und dass sie unantastbar sein soll. Als es darum ging, ein „neues“ Projekt herzuleiten – ein wichtiges Markenzeichen der Kulturladen-Arbeit ist schließlich, dass ein neues Projekt immer thematisch aus dem vorherigen entwickelt wird –, stellten wir uns natürlich die Frage: „Was kann nach der Würde noch folgen?“ Es wurde deutlich, dass das Thema „(Mit)MENSCHsein!“ unsere Arbeit in der nächsten Zeit maßgeblich bestimmen soll. Wir arbeiten an der „Huchtinger MENSCHLICHKEITsverfasung“.
Gerade jetzt, wo gesellschaftliche und persönliche Werte gefährlichen Angriffen ausgesetzt sind, soll das Projekt einen Raum schaffen, in dem die Bürgerinnen und Bürger aktiv an der Definition und Gestaltung von Menschlichkeit im Stadtteil mitwirken können. Ziel des Projekts ist es, die Vielfalt zu reflektieren und eine gemeinsame Basis für ein respektvolles und solidarisches Miteinander zu entwickeln. Es wird ein Beitrag zur Stadtkultur, zur kulturellen Identität und zum sozialen Zusammenhalt in unserem Stadtteil.
Was wünschen Sie sich für die kulturelle Arbeit im Stadtteil Huchting in den kommenden Jahren?
Vera Zimmermann: Wir möchten, dass sich die Huchtingerinnen und Huchtinger auch weiterhin mit Offenheit und Interesse künstlerischen Ausdrucksmitteln und Fragestellungen widmen können: In was für einer Zukunft wollen wir gemeinsam leben? Welche Wünsche und Ideen haben wir für ein gutes Zusammenleben? Was kann ich zu einem menschlicheren Stadtteil beitragen? Für diese Arbeit wünschen wir uns ausreichende Fördermittel aus Landes-, Bundes- beziehungsweise EU-Mitteln, sodass immer wieder neue Formate mit Planungssicherheit gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern verwirklicht werden können. Darüber hinaus wünschen wir uns, dass der Kulturladen wieder als wichtiger arbeitsmarktpolitischer Maßnahmeträger im Stadtteil vom Jobcenter anerkannt und weitergefördert wird.
Weitere Informationen gibt es auf der Website des Kulturladens Huchting.