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Wilde Bühne Bremen
Karsten Klama

Die Wilde Bühne bietet theatralische Präventionsarbeit

Ein Theater für eine tolerante und weltoffene Gesellschaft

Die knapp 80 Jugendlichen sind begeistert. Das interaktive Theaterstück „Dein Spiel am Limit“ der Wilden Bühne im Volkshaus zu den Themen Risiko und Grenzerfahrung ist eben zu Ende gegangen und hat viele der jungen Menschen auf der Tribüne stark berührt, weil es viele Bereiche aus ihrem Alltag widerspiegelt. In mehreren überzeugenden Kurzgeschichten spielt das talentierte Ensemble des Theaterhauses in Bremen Inhalte über Kiffen, Alkohol, soziale Medien und Gewalt in der Familie auf. Zwischendurch greifen die Jugendlichen auch selbst entweder im Rollentausch aktiv in die Geschichte ein und beeinflussen den Ausgang zum positiven oder diskutieren gemeinsam mit den beiden Initiatorinnen Michaela Uhlemann-Lantow und Jana Köckeritz über das eben erlebte Bühnenstück.

Die Schauspielenden der Wilden Bühne sind suchterkrankte Menschen und der Schwerpunkt des Theaters liegt auf der Gesundheitsförderung sowie Sucht- und Gewaltprävention. Das Ensemble gastiert bundesweit in Schulen, Jugendhäusern, Theatern und auf Fachveranstaltungen. Im Gespräch berichten uns die beiden Geschäftsführerinnen des eingetragenen Vereins über ihre tägliche Arbeit auf und neben der Bühne im Volkshaus in der Hans-Böckler-Straße.


Seit wann gibt es die Wilde Bühne und wie ist sie entstanden?

Wilde Bühne Bremen
Die beiden Geschäftsführerinnen Michaela Uhlemann-Lantow (l.) und Jana Köckeritz auf der Bühne. Karsten Klama

Michaela Uhlemann-Lantow: Die Wilde Bühne haben Jana Köckeritz und ich 2003 gemeinsam gegründet. Seit 2017 verstärkt der Schauspieler und Dozent Pablo Keller unser Leitungsteam. Wir beide haben Theater und Theaterpädagogik studiert und schon währenddessen zahlreiche Projekte in Therapieeinrichtungen durchgeführt. Uns hat die Kombination aus Theater und Sucht enorm fasziniert, weil Theater viel mit Grenzerfahrungen und existenziellen Themen zu tun hat. Gerade in der Therapie braucht es viel Mut, und wir haben erlebt, dass die Menschen dort unglaublich viel zu erzählen haben. Sie gehen an ihre Grenzen, sind risikobereit und haben Lust, sich auszuprobieren – genau wie auf der Bühne.

Theater erzeugt einen Rausch, aber einen selbsterzeugten, für den man aktiv werden muss. Das hat Parallelen zur Sucht. Wir haben gemerkt, dass die Energie und Kraft der Menschen in den Therapieeinrichtungen fürs Theater unglaublich bereichernd sind. Das war unser Ausgangspunkt. Später kam der präventive Aspekt hinzu: Gesundheitsförderung durch das Theater, insbesondere in Schulen, weil wir gesehen haben, wie sehr unser Publikum emotional bewegt wird und ins Gespräch kommt.

Warum erreicht euer Ansatz junge Menschen vielleicht manchmal besser als eine klassische Präventionsarbeit?

Jana Köckeritz: Weil es echt ist. Viele Jugendliche sagen uns, dass unsere Schauspieler glaubwürdiger sind als Mitarbeitende der Polizei mit Präsentationskoffern oder Eltern mit erhobenem Zeigefinger. Unsere Spielenden erzählen von ihren eigenen Erfahrungen, warum sie gekifft haben, wann es gekippt ist und was dazu geführt hat, dass sie etwas verändern wollten. Das kommt an. Nach unseren Stücken sprechen uns die Zuschauenden oft an und teilen ihre eigenen Erlebnisse.

Welche Zielgruppen habt ihr mit eurer Arbeit im Blick?

Michaela Uhlemann-Lantow: Die sind sehr vielfältig. Wir spielen hauptsächlich für Schulklassen, aber auch abends für ein interessiertes Theaterpublikum und auf Fachtagungen. Unsere Stücke decken verschiedene moderne Themen ab, auch Social Media. Die Altersgruppe beginnt bei jungen Menschen so ab der fünften Klasse. Schwerpunktmäßig kommen die Klassen aber meist ab der siebten oder achten Jahrgangsstufe zu uns.

Wie reagieren die Jugendlichen auf das interaktive Format mit Rollenspielen und Diskussion?

Jana Köckeritz: Anfangs sind sie oft irritiert, weil unsere Spielenden keine Jugendlichen mehr sind. Aber dann entsteht schnell eine Verbindung. Sie erkennen sich in den Geschichten wieder. In einer Pause kam ein Mädchen zu mir und sagte: „Ich mag die Schauspielerin Jenny total, ich habe noch gar nicht mit ihr geredet, aber was sie sagt und wie sie spielt, das kenne ich so gut und kann das nachvollziehen.“ Solche Momente passieren immer wieder bei uns und schaffen eine große Verbundenheit.

Gibt es eine weiterführende Begleitung der Schulklassen nach euren Aufführungen?

Michaela Uhlemann-Lantow: Ja, mit einigen Schulen gibt es im Nachgang Projekttage, in denen wir mit den Jugendlichen arbeiten. Dort geht es oft um persönliche Erfahrungen, Herausforderungen und Bewältigungsstrategien. Wir verweisen auf Beratungsstellen, haben Flyer mit Adressen und arbeiten eng mit Fachstellen zusammen. Jüngst hatten wir beispielsweise eine Fachstelle für Glücksspielsucht bei einer Veranstaltung mit jungen Männern aus Berufsschulen dabei, weil wir wissen, dass sie eine Risikogruppe für Glücksspiel und Sportwetten sind.


„Unsere Arbeit ist emotional, ehrlich und lebendig!“


Bleiben eure Schauspielenden lange im Team der Wilden Bühne?

Michaela Uhlemann-Lantow: Viele sind seit mehr als zehn Jahren dabei, aber es gibt auch immer wieder Wechsel. Einige orientieren sich neu, beginnen ein Studium oder gehen in den Arbeitsmarkt. Unsere Schauspielenden engagieren sich freiwillig und erhalten eine Aufwandsentschädigung. Schauspielunterricht und die gesamte Teilnahme sind kostenfrei.

Gibt es besondere Voraussetzungen, um mitzuspielen?

Wilde Bühne Bremen
„Dein Spiel am Limit“ ist ein interaktives Theaterstück zu den Themen Risiko und Grenzerfahrung der Wilden Bühne in Bremen. Karsten Klama

Jana Köckeritz:  Ja, die wichtigste ist: Clean und trocken sein. Das bedeutet auch, komplett auf Alkohol zu verzichten. Selbst wenn jemand vorher „nur“ gekifft hat, muss er oder sie sich entscheiden, ein Leben ohne Alkohol zu führen. Der Grund ist, dass Suchterkrankungen oft zu Verlagerungen führen. Wer Cannabis weglässt und Alkohol konsumiert, kann eine neue Abhängigkeit entwickeln oder eine niedrigere Hemmschwelle haben, wieder mit anderen Substanzen zu beginnen.

Wie würdet ihr eure Arbeit in wenigen Sätzen beschreiben?

Michaela Uhlemann-Lantow: Unsere Arbeit ist emotional, ehrlich und lebendig. Sie gibt Menschen Raum, sie selbst zu sein. Scheitern gehört bei uns dazu – und das ist gut so. Wir leben in einer Gesellschaft, die auf Optimierung ausgerichtet ist, in der Scheitern oft nicht erlaubt ist. Bei uns geht es darum, wieder aufzustehen und neue Wege zu finden. Theater ist für unsere Schauspielenden keine Selbsthilfegruppe, aber ein Ventil, um ihre eigenen Themen künstlerisch zu verarbeiten.

Gibt es seitens der Stadt Unterstützung für die Wilde Bühne?

Michaela Uhlemann-Lantow: Seit drei Jahren erhalten wir eine Teilfinanzierung durch die Stadt. Aber das ist eine unsichere Projektförderung, die jedes Jahr neu beantragt werden muss. Planbarkeit gibt es leider eher nicht. Daher freuen wir uns natürlich immer sehr über Beiträge an unseren Förderverein.

Was wünscht ihr euch für die Zukunft?

Jana Köckeritz: Mehr Wilde Bühne! Mehr Offenheit im Umgang mit schwierigen Themen, mehr Stärkung und Unterstützung füreinander. Und für uns selbst eine verlässliche Finanzierung. Wir arbeiten mit Menschen, die in ihrem Leben oft keine Verlässlichkeit erlebt haben. Umso wichtiger ist es, dass wir diese bieten können mit unserem Angebot.

Mehr Informationen finden sich auf der Internetseite der Wilden Bühne.

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Autorenbild Tjark Worthmann

Von Tjark Worthmann

Ich fahre am liebsten mit der Vespa oder der Schwalbe durch unsere schöne Hansestadt und entdecke dabei immer wieder geheime Wege und versteckte Orte.

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