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Das gründerzeitliche Lager- und Sortiergebäude der Bremer Wollkämmerei
Quarz (talk)

Außergewöhnliche Sehenswürdigkeit: Bremer Wollkämmerei

Ein Industriedenkmal erwacht zu neuem Leben

Blick auf die sonnenbeschienene Straße An der Wollkämmerei, wo die gründerzeitlichen Bauten der Bremer Wollkämmerei liegen
Die Straße An der Wollkämmerei markiert die historische Achse, die zum Spazieren offen steht. Kristina Bumb

Das Gelände der ehemaligen Bremer Wollkämmerei (kurz BWK) im Blumenthaler Zentrum lädt zum Spaziergang durch die Vergangenheit ein. Zeitweilig war auf dem Areal die größte industrielle Wollaufbereitung Deutschlands ansässig, die einen Ruf von Weltrang genoss. Zwar ist die BWK eines von Bremens großen untergegangenen Unternehmen, aber die prachtvolle Industriearchitektur ist eine echte bremische Sehenswürdigkeit.

Bis zum Weserufer spaziert man entlang von gründerzeitlichen Bauten und kunstvoll verzierten Rotklinkerhallen. Die sogenannte historische Achse ist eine in jüngerer Zeit eigens gestaltete verkehrsberuhigte Zone, die für Besucherinnen und Besucher offen steht. Verfall und Neuanfang liegen auf dem BWK-Gelände dabei dicht nebeneinander. Denn manche der denkmalgeschützten Bauten bröckeln, andere werden im großen Umfang saniert. Moderne, neue Werkshallen ergänzen das Gesamtbild. Ein Gewerbegebiet und ein Berufsschulcampus entstehen dort und hauchen dem außergewöhnlichen Areal neues Leben ein.

Vergangenheit: Ehemaliges Bremer Traditionsunternehmen von Weltrang

Blick auf eine Rotklinkerfassade an einem Gebäude der Bremer Wollkämmerei auf dem BWK-Gelände in Blumenthal
Die gründerzeitlichen Bauten offenbaren immer wieder malerische Details. Kristina Bumb

Die Bremer Wollkämmerei, die bis 2009 ihren Sitz in Blumenthal hatte, reiht sich ein in die Liste der großen, untergegangenen bremischen Traditionsunternehmen wie der Werften AG Weser und Vulkan oder der Autofabrik Borgward. Die BWK bildete lange Deutschlands größte Wollwäscherei und -kämmerei. Zeitweise galt sie als der modernste Industriebetrieb seiner Art in der Welt.

Im April 1883 gründete eine Gruppe aus Konsuln und Kaufleuten die Aktiengesellschaft – darunter Joseph Hachez, der auch die gleichnamige Schokoladendynastie der Hansestadt mit aus der Taufe hob. Am 11. September 1884 startete die industrielle Wollverarbeitung. Geschorene Schafswolle wurde gewaschen, gekämmt sowie zu Bändern geformt. Der sogenannte Kammzug bildete die erste Stufe der Verarbeitung des Naturmaterials, der für die weitere Verwendung an Spinnereien, Webereien, Strickereien und Schneidereien vertrieben wurde. Im 20. Jahrhundert kam eine Chemiefaserverarbeitung dazu.

Von dieser stolzen Vergangenheit zeugen zum Beispiel die kaufmännische Verwaltung am Eingang zum Gelände, ein eigener Wasserturm und so riesenhafte Bauten wie das Sortiergebäude, das Kammzuglager oder die Fliegerhalle. Von der ehemaligen Werksbahn ist eine Dampflok erhalten, die auf dem Gelände zur Schau gestellt wird. Eine Statue zeigt einen Merinoschafbock, der den Spitznamen Sir Charles hat.

Wie die Bremer Wollkämmerei Blumenthal veränderte

Blick auf die Villa für technische Verwaltung der ehemaligen Bremer Wollkämmerei
Villen und Hallen in Rotklinkeroptik prägen das BWK-Gelände. Quarz (talk)

Waren zu Produktionsbeginn 150 Arbeiter in den Werkshallen der Bremer Wollkämmerei tätig, stieg ihre Anzahl bis 1930 auf 3700. Sie stammten vielfach aus Sachsen, dem Rheinland, Schlesien, Ost- und Westpreußen sowie Polen. Die BWK warb gezielt Kräfte aus Osteuropa an, die zum Teil mit ihren Familien in den Ort zogen und das Leben dort mit prägten. Um die vielen Arbeiter unterzubringen, errichtete das Unternehmen in der näheren Umgebung ganze Straßenzüge mit Wohnhäusern.

Als erster Industriebetrieb, der sich in dem damals noch ländlichen Ort ansiedelte, veränderte die BWK die Struktur Blumenthals somit tiefgreifend. Nicht nur die Bevölkerung und die Bebauung wuchsen. Auch der Anschluss an das Bahnnetz, die allgemeine Stromversorgung, die Einrichtung von Schulen, Kirchen und Kreiskrankenhaus sind dem Einfluss des Industriebetriebes mit zu verdanken.

Unrühmlich war dagegen die Zeit während des Zweiten Weltkriegs, als auf dem Gelände der Wollkämmerei bis zu 2000 Zwangsarbeiter eingesetzt wurden.

Die 90er-Jahre waren der Anfang vom Ende der Bremer Wollkämmerei

Ein Luftbild zeigt die Lage des Kämmereiquartiers Blumenthal, beziehungsweise des Geländes der Bremer Wollkämmerei, direkt an der Weser
Das Kämmereiquartier liegt direkt an der Weser. WFB/Studio B

Ab den 60er-Jahren wurde die Produktion zur Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens automatisiert. Bis in die 80er-Jahre hinein hielt der Höhenflug an. In drei Schichten wurde die Wolle von bis zu 60.000 Schafen pro Tag verarbeitet.

Vermutlich war es die allgemeine Verlagerung der Textilproduktion nach Asien und die sinkende Nachfrage nach Bekleidung aus Wolle, die dann jedoch den allmählichen Untergang der Bremer Wollkämmerei heraufbeschwor. In den 90er-Jahren stieg die Norddeutsche Raffinerie als Großaktionär aus. Die Elders AG, ein Anteilseigner aus Australien, konnte 2004 noch einmal eine Insolvenz abwenden. Dennoch wurde 2009 die Produktion eingestellt. Ein 125 Jahre dauerndes Kapitel der Bremer Industriegeschichte fand sein Ende.

Ein Lichtblick: Aus den Überresten der BWK entstanden zwei neue Unternehmen, die bis heute ihren Sitz am alten Standort haben: die Bremer Wollhandelskontor GmbH und die BWK Chemiefaser GmbH.

Gegenwart: Gewerbegebiet und Schulcampus mitten im Blumenthaler Zentrum

Eine Grafik zeigt den geplanten Berufsschulcampus Blumenthal auf dem BWK-Gelände
Der geplante Berufsschulcampus auf dem BWK-Gelände wird ein Highlight für das Blumenthaler Zentrum sein. Die zukünftigen Flanierwege sind gelb markiert. Planungsbüro DeZwarteHond

Das Ende der Bremer Wollkämmerei war ein wirtschaftlicher Schlag für Blumenthal. Doch Bemühungen in jüngster Zeit machen Hoffnung, dass das Gelände bald wieder zu einem belebenden Element für den Bremer Ortsteil avanciert.

Denn die Stadt Bremen erwarb dort Flächen und stellt das Kämmereiquartier als attraktives Gewerbegebiet zur Verfügung. 32,2 Hektar misst das Kämmereiquartier. Bereits jetzt sind dort 20 Betriebe mit rund 370 Beschäftigten ansässig – und es sollen noch mehr werden.  Darüber hinaus soll unter anderem im ehemaligen Sortiergebäude ein zentraler Berufsschulcampus angesiedelt werden, dessen Strahlkraft  weit über Bremen-Nord hinausreicht. 2000 bis 3000 Schülerinnen und Schüler aus der Hansestadt und Niedersachsen sollen in wenigen Jahren dort lernen.

Auch um Sport und Freizeit soll es auf dem Gelände gehen. Vergangene Großveranstaltungen wie „La Strada“ und die Elektromobilitätsmesse „eDay“ lockten Gäste in Scharen an. Eine Initiative bemüht sich aktuell, in der Fliegerhalle ein öffentliches Schwimmbad einzurichten. Auch Gastronomie, Ateliers und Co sollen sich ansiedeln. Man darf also gespannt sein, wie der vielversprechende Weg der Bremer Wollkämmerei in die Zukunft verläuft.


Anfahrt

Das Gelände der ehemaligen Bremer Wollkämmerei liegt an der Straße An der Wollkämmerei in Bremen-Blumenthal. Die verkehrsberuhigte Zone ist jederzeit öffentlich zugänglich.

Das BWK-Gelände ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln sehr gut zu erreichen. Vom Bahnhof Blumenthal und dem zentralen Bushalteplatz aus ist es nur ein kurzer Fußweg.

Für Fahrzeuge stehen auf dem Gelände und im Blumenthaler Zentrum ausreichend Parkplätze zur Verfügung.

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Autorenbild Kristina Bumb

Von Kristina Bumb

Für die Leserinnen und Leser außergewöhnliche Orte erkunden und interessante Menschen kennenlernen – das macht den Beruf der rasenden Reporterin so spannend.

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