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Füllkorn – Unverpackt-Laden
Alena Mumme

Business as unusual: Unverpackt einkaufen bei Füllkorn

Nachhaltiges Shopping in der Kornstraße

„Business as usual“ kennen wir aus dem Alltag zur Genüge. In unserer neuen Serie „Business as unusual“ widmen wir uns ungewöhnlichen Unternehmen und stellen besondere Geschäftsideen vor. Den Start macht der Unverpackt-Laden Füllkorn in der Neustadt.

Füllkorn – Unverpackt-Laden
Ulf Sawatzki legt großen Wert auf einen herzlichen Umgang mit seinen Kunden. Foto: Alena Mumme

Es ist ein warmer Nachmittag. Durch die offene Tür dringen gelegentlich Geräusche von der Kornstraße herein. Bestimmendes Geräusch ist aber das Klimpern: Nüsse, Nudeln, Getreide – regelmäßig wird ein Spender geöffnet und die Lebensmittel rasseln in ein Mehrweggefäß. Plastiktüten gibt es bei Füllkorn nicht. Das Geschäft ist ein Unverpackt-Laden. Wer sich vor dem Besuch nicht selbst mit Gefäßen ausgerüstet hat, für den stellt Inhaber Ulf Sawatzki Schraubgläser, Flaschen, Papiertüten, Eierkartons und Stoffbeutel bereit. Überhaupt wird sich um die Kundschaft gut gekümmert: „Soll ich dir was vorbestellen?“, „Du kannst gern probieren!“, „Willst du auch noch ein Brot?“, „Viel Spaß im Urlaub“! Es ist eben mehr Zeit als an der Supermarktkasse.

Die Einkaufskörbe sind trotzdem voll, denn das Sortiment ist breit. Es gibt Obst und Gemüse, Nudeln, Reis, Getreide, Hülsenfrüchte, Nüsse, Müsli, Schokolade und Snacks, Kräuter und Gewürze, Essig und Öl, Backzutaten und Brot, Kaffee und Tee, Milchprodukte, Eier, Wein, Saft, Wasser sowie Aufstriche und Honig. Ebenfalls erhältlich sind Drogerieartikel wie Seife, Waschmittel, Zahnseide, Tampons, Kondome, Taschentücher und, und, und …

Im Gespräch erzählt der 37-Jährige aus Osterholz-Scharmbeck, was eine indonesische Kunst-Biennale mit der Eröffnung des Ladens zu tun hatte, woher die Produkte kommen und wobei er selbst sündigt.


Wie kam es zu der Idee, Füllkorn zu eröffnen?

Ulf Sawatzki: Ein Teil der Sensibilisierung ist durch eine Auslandsreise zustande gekommen. Ich habe damals eine Zeitlang in Neuseeland als Umweltschützer gearbeitet und wollte mich dort ansiedeln. Allerdings habe ich nicht mit so einer massiven Verschlechterung der Umweltpolitik dort gerechnet. Dadurch hatte ich keinen richtigen Antrieb mehr, dort Fuß zu fassen, und bin weitergereist – nach Indonesien.

Da habe ich erfahren, wie Landschaften aussehen können, wenn man nicht vernünftig mit Verpackungsmüll umgeht. Zu dem Zeitpunkt war Indonesien das Land mit dem größten Plastiktütenverbrauch pro Kopf. Vor Ort habe ich auch eine Biennale besucht, auf der einheimische Künstlerinnen und Künstler gezeigt haben, welche unvorstellbar schlechten Einfluss der Verpackungsmüll auf die Umwelt haben kann. Es wurden zum Beispiel Staudämme fotografiert, die aus Plastikmüll bestehen,

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Foto: Alena Mumme

und Seen, die gar nicht mehr als solche zu erkennen sind. Das ist alles real – und wir sind daran nicht ganz unbeteiligt, denn unser eigentlich zu recycelnder Müll landet immer noch dort.

Zudem habe ich Biologie und Umweltschutz studiert. Dadurch wusste ich, dass die Erzeugungsweise von Produkten sehr wichtig ist – für unsere Umwelt und auch für den Verbraucher. So kann man die Welt am ehesten verändern, wenn man direkt in die Produktion eingreift. Die ist abhängig von der Nachfrage, und die Nachfrage wird vom Endverbraucher bestimmt. Da dachte ich mir, versuche ich Umweltschutz zu betreiben, indem ich den Menschen einen ökologisch nachhaltigen Konsum durch einen sogenannten Unverpackt-Laden ermögliche.

Vorher mussten aber bestimmt noch einige Hürden genommen werden, oder?

(Lacht.) Es sind auf jeden Fall viele Dinge nicht so gelaufen, wie ich sie mir erhofft habe. Als ich zurück nach Deutschland kam, habe ich erst einmal recherchiert, ob es so ein Geschäftsmodell hier überhaupt schon gibt. Meine Idee war eigentlich, nach Los Angeles zu fliegen, und mir einen solchen Laden anzugucken. Aber letztendlich existierten zu dieser Zeit, 2016, schon ein Dutzend Unverpackt-Läden in Deutschland. Einige davon

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Foto: Alena Mumme

haben Seminare angeboten, damit potenzielle Gründer lernen, worauf es ankommt. Ich habe mich bei Majid Hamdaoui, Gründer von Unverpackt Mainz, angemeldet, dem hierzulande zweitältesten Unternehmen dieser Art.

Seit ich deren Geschäft betreten habe, habe ich mir gewünscht, einen solchen Laden selbst zu führen. Das hat jetzt geklappt. Ich war völlig begeistert von der ganzen Thematik und der Kreativität der Produkte, die ohne Verpackung präsentiert wurden – und auch von der vertrauensvollen, herzlichen Ebene, auf der man den Kunden begegnet.

Das Wahlverhalten hatte Einfluss auf die Standortwahl

Wie ist es zu dem Standort Neustadt gekommen?

Bei der Standortanalyse habe ich mich nach der Ideologie der Leute umgeschaut. Durch das Seminar wusste ich, welche Zielgruppen ich ungefähr brauche. Dazu habe ich mir das Wahlverhalten der Menschen angesehen und geguckt, in welchem Stadtteil es eine ähnliche Klientel wie im Viertel gibt – linksgrün. Meine Annahme war, dass diese Personen mein Angebot eher nutzen – und diese waren in der Neustadt zu finden. Zudem war ausschlaggebend, dass die größte

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Foto: Alena Mumme

Zielgruppe vorhanden ist: junge Eltern. Kinder sind hier im Laden willkommen. Die Kleinen können malen, wenn sie Lust haben. Sie können aber auch – was für viele sehr interessant ist – mit ihren Eltern einkaufen. Sie wollen auch mal an dem Spender drücken. Das hat auch schon zu vielen Unfällen geführt …

Wie war dann die Umsetzung?

Ich bin ein halbes Jahr durch die Gegend gegurkt, während ich für Foodora auf dem Rad Essen ausgeliefert habe. Dabei habe ich nur geschaut, wo es den Anschein macht, dass ein Geschäft schließt – und dort dann nachgefragt, was danach reinkommt. Auf diese Ladenfläche bin ich aber gekommen, weil Freunde sie auf dem schwarzen Brett gesehen haben. Hier war früher ein Afroshop drin. Ich bin gleich hingefahren und habe dem Vermieter von dem Projekt erzählt. Ohne Finanzierung habe ich den Mietvertrag unterschrieben.

Bei B.E.G.IN, der Bremer ExistenzGründungsINitiative, habe ich einen Businessplan erarbeitet. Und beim Jobcenter habe ich ein Unternehmensberatungs-Coaching bekommen. Mit Krediten war es schwierig, auch weil ich keine Joberfahrung in diesem Bereich vorweisen konnte. Dann habe ich glücklicherweise private Investoren gefunden, die an das Projekt geglaubt haben. Einer davon war mein Unternehmensberater, der mir vom Jobcenter gestellt wurde. Wir haben einen Vertrag aufgesetzt zur stillen Teilhabe. Dadurch habe ich

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Foto: Alena Mumme

genug Geld bekommen, um den Laden einzurichten und zu eröffnen.

Wie läuft es seit der Eröffnung 2018?

Ich bin sehr zufrieden. Ich habe ja mehrere Businesspläne samt Liquiditätsrechnung gemacht, also Erwartungen hinsichtlich meines Umsatzes. Und der liegt bei Weitem über dem, was ich mir in der ersten Zeit erträumt habe. Ich habe mittlerweile zwei Angestellte und bin selbst nur noch Teilzeit im Laden. Es kommen täglich neue Leute herein. Samstag und Montag ist oft viel los. Freitage sind mittlerweile wegen „Fridays For Future“ auch geschäftiger. Die Umweltbewegung hat zu einer Sensibilisierung geführt.

Füllkorn hat mittlerweile etwa 520 unverpackte Artikel im Sortiment

Wie ist das Sortiment zusammengestellt?

Ich wusste schon durch das Seminar, dass ich bestimmte Dinge auf jeden Fall anbieten sollte. Also habe ich mich daran gehalten, was in Mainz der Renner war. Aber manche Sachen konnte ich mir nicht richtig vorstellen. Von gewissen Superfoods wollte ich mich auch distanzieren, weil ich schon wusste, dass das nur Geldmacherei ist. Ich habe ein Sortiment aufgebaut, was nur 250 Artikel beinhaltet. Gemeinsam mit der Kundschaft habe ich mich dann an die Entwicklung gemacht. Ich habe nachgefragt. „Was hättest du gern, was brauchst du so?“ Das hat zusätzlich dazu geführt, dass die Kundenbindung intensiver war. Sie konnten mitentscheiden und fühlen sich dadurch auch privilegiert. Nach noch nicht einmal einem Jahr war das Sortiment dann doppelt so groß: Es sind mittlerweile ungefähr 520 Artikel.

Man muss nichts mitbringen, wenn man das erste Mal bei Füllkorn einkauft, oder?

Genau, ich sammle hier Gefäße jeglicher Art, welche sich zum Wiederbefüllen eignen – also Honiggläser und so weiter. Dann werden sie gereinigt und den Leuten zur Verfügung gestellt, die kein eigenes dabei haben. Ich habe Gläser, Jutebeutel, Pappschalen und teilweise Obst und Gemüse zu verschenken, das nicht mehr verkauft werden kann beziehungsweise aus der SOLAWI, einem Projekt für solidarische Landwirtschaft, übrig blieb. Und:

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Foto: Alena Mumme

Man kann hier im Laden auch alles probieren.

Die Produkte: Regional, saisonal und vegetarisch

Woher kommen die Produkte?

Unterschiedlich: Ich beziehe von mehreren Großhändlern. Ich picke mir bei den Anbietern gern die Rosinen raus, die am ehesten meinen Kriterien von Nachhaltigkeit, Verpackung, Standort und Qualität erfüllen. Ich habe eine Kooperation mit dem Hof Steding, der auch mit einem Bioland-Stand auf dem Delmemarkt vertreten sind. Von denen bekomme ich Eier und Frischwareprodukte. Kornkraft und das Naturkost Kontor sind die Großhändler, auf die ich oft zurückgreife. Ich beziehe auch etwas von einzelnen Höfen. Momentan gehe ich häufig im Teufelsmoor mit meinem Vater in die Blaubeeren. Die pflücken wir auf einer Plantage und verkaufen sie im Laden.

Obst und Gemüse sind saisonal. Angeboten wird, was die jeweilige Jahreszeit hergibt und was von regionalen Bauern erzeugt wird. Ich habe aber auch ein paar Kompromissprodukte wie Zitronen, Kurkuma, Ingwer und Bananen. Zielgruppe Nummer eins sind junge Eltern – und die wollen eben auch Bananen für Babybrei.

Das Sortiment ist vegetarisch. Das war mir wichtig. Fleischkonsum ist völlig fahrlässig vor dem Hintergrund der Massentierhaltung und des derzeitigen Klimawandels. Da ist es schwierig, immer noch

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Foto: Alena Mumme

Fleisch zu verzehren. Ich tue es dann noch, wenn mir etwas angeboten wird – aber ich kaufe selbst nichts mehr.

Wie sieht es eigentlich mit dem persönlichen Konsum aus – funktioniert der Verzicht auf Plastikverpackungen?

Ja! Dadurch, dass ich jetzt den Laden habe, ist es für mich nicht so schwer. Ich kann fast auf alle Einwegpackungen verzichten. Es gibt aber noch einige Sachen, bei denen ich Sünder bin. Und zwar kaufe ich mir noch Eis – das ist sehr schwierig umzusetzen.

Was sind Ziele für die Zukunft?

Ein bisschen Platz haben wir hier noch. Ich hätte gerne noch einige Glasspender mehr für Trockenware. Und ich möchte auch Käse anbieten, in verschließbaren Glaspfandgefäßen. Und ein zweiter Laden wäre nicht schlecht! Ich habe viele Anfragen: „Warum machst du nicht hier einen Laden auf?“ So, wie es gerade läuft, kann ich es mir sehr gut vorstellen. Das Projekt, was ich gern umsetzen würde, wäre in Findorff. Da gibt es auch schon einige Leute, die dabei wären.

Es gibt mittlerweile 125 Unverpackt-Läden deutschlandweit,  60 weitere sind noch geplant. Es scheint einen exponentiellen Zuwachs zu geben. Der Trend hat sich festgesetzt und wird noch weiter zunehmen – je nachdem, wie die Endverbraucherinnen und Endverbraucher sensibilisiert sind. Wenn man manche Sachen erfahren hat, ist man quasi dazu gezwungen, sich ökologisch nachhaltiger zu verhalten – es sei denn, man hat einen hohen Willen zur Ignoranz.

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Füllkorn ist an der Kornstraße 12 in der Neustadt und online zu finden. Im Netz wird regelmäßig das Angebot an aktuellen frischen Waren wie Obst und Gemüse gepostet. Geöffnet ist das Geschäft montags bis freitags von 9 bis 19 Uhr, samstags von 9 bis 15 Uhr.

Bei Füllkorn werden auch Lastenfahrräder des Projekts Fietje verliehen. Interessierte können sich online anmelden und das Rad bis zu drei Tage mieten. Weitere Informationen über das Geschäftmodell und die Idee dahinter gibt es auch beim Unverpackt-Verband.

Dieser Beitrag ist Teil unseres Themenspecials „Nachhaltigkeit“. Sind Sie interessiert an mehr Artikeln dieser Art? Schauen Sie sich unsere Sammlung von Beiträgen rund ums Thema an.

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Autorenbild Alena Mumme

Von Alena Mumme

Ich bin Tagenbaren – meine Eltern und Großeltern sind also wie ich in Bremen geboren und aufgewachsen. Nur spannende Reisen locken mich aus meiner gemütlichen Heimatstadt.

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