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Lesumsperrwerk Grohn
Kristina Bumb

Außergewöhnliche Sehenswürdigkeiten: Das Lesumsperrwerk

Bollwerk gegen Hochwasser und Sturmfluten

„Bremen ist eine Badewanne“, sagt Stephan Levin, der Geschäftsführer des Bremischen Deichverbandes am rechten Weserufer. Diese Aussage klingt originell, doch Stephan Levin lacht nicht. Denn eine Badewanne ist dazu gemacht, mit Wasser vollzulaufen, und das möchte man auf dem Stadtgebiet keinesfalls. Stattdessen möchten die Hansestädter auch bei Hochwasser, Starkregen, Sturmflut und Nordwestwind trockene Füße, Häuser und Straßen behalten. Die Bremischen Deichverbände am rechten und linken Weserufer, die Hafengesellschaft Bremen Ports und die Stadtverwaltung sorgen für den nötigen Hochwasserschutz. Neben etlichen Kilometern Weserdeich spielt das Lesumsperrwerk in Grohn dabei eine wichtige Rolle.

85 Prozent des Stadtgebietes sind hochwassergefährdet

Lesumdeich im Werderland
Die Deiche im Werderland sind beliebte Ziele für Spaziergänge. Kristina Bumb

Viele Bremerinnen und Bremer kennen das Lesumsperrwerk vor allem vom Spaziergehen. Das mächtige Bauwerk aus Beton und Metall erstreckt sich von einem Lesumufer zum anderen. Die so entstandene Brücke kann zu Fuß und per Rad benutzt werden, um von Grohn aus nach Lesumbrok zu gelangen. Und so ist das Sperrwerk vor allem am Wochenende ein Ausgangspunkt für einen ausgedehnten Sonntagsspaziergang auf den Deichen des malerischen Werderlandes.

Damit auch Segelboote und andere Schiffe mit hohen Aufbauten passieren können, ist die Überwegung als Hubbrücke gestaltet. Sie kann sich binnen weniger Minuten für Segler und Ausflugsboote öffnen, die so durch die geöffneten Sperrwerkstore schippern können. Bei geschlossenen Toren kommt eine Schiffsschleuse zum Einsatz.

Lesumsperrwerk Bremen
Aus der Vogelperspektive sind die schützenden Bauten und die Schiffsschleuse des Lesumsperrwerkes gut zu erkennen. Bremischer Deichverband am rechten Weserufer

Doch was sich so idyllisch anhört, hat einen ernsten Hintergrund. Die Lage an der Weser und nahe der Nordsee verleiht Bremen maritimen Charme und ist seit jeher ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für die Hansestadt. Zugleich ist sie eine große Herausforderung. Denn 85 Prozent des Stadtgebietes liegen unter dem mittleren Hochwasserstand und wären damit hochwasser- und sturmflutgefährdet – wenn Deiche, Spundwände, hohe Uferbefestigungen und das Lesumsperrwerk nicht wären.

Nach zweiter Julianenflut wird das Lesumsperrwerk errichtet

Wie verheerend das sein kann, zeigt vor allem die Sturmflut von 1962. „Sie war der Anlass, das Bremer Lesumsperrwerk sowie die Sperrwerke an der Ochtum und der Hunte auf niedersächsischem Gebiet zu bauen“, sagt Reymond Hoins, der Werkstattleiter der Schutzeinrichtung an der Lesum. In der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 entwickelte sich die schwerste Sturmflut der vergangenen 100 Jahre. Die sogenannte zweite Julianenflut trieb das Wasser bei Vegesack auf eine Höhe von 5,22 Meter über Normalnull. An manchen Stellen strömten die Wellen über die Deiche und fluteten Teile des Stadtgebietes. Am linken Weserufer waren durch die Überschwemmungen sieben Todesopfer zu beklagen.

Dabei hatte Bremen noch Glück im Unglück. Denn in Hamburg forderte die zweite Julianenflut 315 Menschenleben und setzte ganze Stadtteile unter Wasser. 60.000 Menschen wurden über Nacht obdachlos. In der Folge arbeiteten die Länder Bremen und Niedersachsen zusammen, um mit drei aufeinander abgestimmten, großen Sperrwerken einen effektiven Hochwasserschutz für die Region in und um Bremen, Oldenburg und Delmenhorst einzurichten. 1979 nahmen die Bauwerke zeitgleich den Betrieb auf.

Gezeiten der Nordsee wirken sich bis nach Bremen aus

Lesumsperrwerk Grohn
Vier Tore und eine Schiffsschleuse gehören zum Sperrwerk. Kristina Bumb

„Die einzige Alternative zum Bau der Sperrwerke wäre die Errichtung von neuen Deichen auf 38 Kilometern Länge gewesen. Die Sperrwerke waren die wirtschaftlichere Lösung“, erklärt Reymond Hoins. Sie dienen übrigens nicht nur dazu, vor gefährlichen Sturmfluten zu schützen. Denn was manch einer nicht weiß: Zwei mal pro Tag gibt es Hochwasser in Bremen. Durch die Gezeiten in der Nordsee bahnt sich eine Flutwelle den Weg durch die Weser und drückt Wassermassen in die einmündenden Flüsse Lesum, Ochtum und Hunte. Die Weserbegradigung und -vertiefung spielt diesem natürlichen Tidenhub zusätzlich in die nassen Hände.

Kommen dann noch Regen und ein Wind aus Nordwest hinzu, kann das Wasser bedrohlich ansteigen. „Ist die Flut höher als 2,70 Meter über dem mittleren Hochwasser, schließen wir die Tore des Sperrwerks“, erläutert Stephan Levin, der Geschäftsführer des Bremischen Deichverbandes am rechten Weserufer. Die Tidenwelle rollt also gegen das mächtige Bauwerk an, doch dahinter bleiben die Lesum und die Wümme friedlich. Das Hinterland – vor allem der Stadtteil Burglesum und die Gemeinde Ritterhude – wird vor Überschwemmungen bewahrt. Das Ochtumsperrwerk schützt unterdessen vor allem die Stadtteile Huchting und Grolland.

Rund 15 Minuten dauert das Schließen der vier riesigen, elektrisch angetriebenen Metalltore bzw. Hubschütze. „Welche Kräfte dabei gegeneinander wirken, sieht man schon daran, dass sich die Fließrichtung der Lesum dabei umdreht“, schildert Werkstattleiter Reymond Hoins. Er ist Teil eines sechsköpfigen Teams, das jeden Tag und jede Nacht zur Verfügung steht, um das Lesumsperrwerk zu steuern.

Orkantief Xaver ließ die Pegelstände anschwellen

Werkstattleiter Reymond Hoins
Werkstattleiter Reymond Hoins und sein Team stehen Tag und Nacht für die Steuerung des Lesumsperrwerks bereit. Kristina Bumb

Bereitschaft hatten seine Kolleginnen, Kollegen und er auch in Nacht zum Nikolaustag 2013, als das Orkantief Xaver über Norddeutschland hinwegfegte. „Dank der mittlerweile sehr genauen Wettervorhersagen wussten wir schon mehrere Stunden vorher Bescheid, dass eine Sturmflut kommen würde. Wir haben dann das Ansteigen der Welle in der Nordsee genau beobachtet und wussten, was auf uns zukommt“, erzählt er.

Von der verglasten Leitwarte des Sperrwerks aus erlebte er die Sturmnacht. Bei Vegesack wurde ein Wasserstand von 5,16 Metern über Normalnull gemessen. Stadtgarten und Utkiek standen unter Wasser. Am Osterdeich stapelten Helferinnen und Helfer Sandsäcke, um das Weserstadion gegen die Fluten zu schützen. „Aber ich hatte Vertrauen in unser Lesumsperrwerk. Das hält noch ganz andere Dinge aus und es ist am Ende alles glimpflich verlaufen“, sagt Reymond Hoins.

Klimawandel verlangt stärkere Schutzmaßnahmen

Der Schutz durch das Lesumsperrwerk funktioniert übrigens auch in umgekehrter Richtung. Denn der Wasserstand der Wümme und Lesum kann bei einer langanhaltenden Sturmflut, starkem Regen und  bereits geschlossenen Sperrwerk gefährlich ansteigen. Da die Deiche oberhalb des Lesumsperrwerkes einen geringeren Schutz bieten und auch kein ausreichender Speicherraum für die Wassermassen zur Verfügung steht, darf der Pegelstand im Binnenland nicht unbeobachtet bleiben. Bei einem Sperrwerksbinnenpegel von 3,20 Meter über Normalnull wird das Schöpfwerk in Betrieb genommen und senkt durch Pumpen – mit einer beeindruckenden Förderleistung von 45.000 Litern pro Sekunde – den Binnenwasserstand. Ein solches Szenario ist in den vergangenen 30 Jahren zwar noch nie eingetreten, doch der Klimawandel stellt den Hochwasserschutz vor ganz neue Aufgaben.

Stephan Levin Bremerischer Deichverband
Stephan Levin ist Geschäftsführer des Bremischen Deichverbands am rechten Weserufer. Kristina Bumb

„Dem Klimawandel müssen wir uns jetzt stellen“, sagt Stephan Levin. Seit Januar ist der 38-Jährige der neue Geschäftsführer des Bremischen Deichverbandes am rechten Weserufer. In seiner Dienstzeit wird er sich mit den Auswirkungen der globalen Erwärmung auseinandersetzen müssen. Und die Arbeit, den Hochwasserschutz für die Zukunft zu rüsten, hat bereits begonnen. „2007 startete der Generalplan Küstenschutz. Daraufhin mussten die Bremer Weserdeiche und Spundwände um rund einen Meter erhöht werden. Die Baumaßnahmen dauern noch heute an. Weil der Klimawandel rasanter voranschreitet als erwartet, gab es 2019 bereits eine Neuberechnung mit dem Ergebnis einer zusätzlichen Erhöhung um rund einen halben Meter“, schildert der erfahrene Wasserbauingenieur.

Mit anderen Worten: Aufgrund steigender Meeresspiegel und mehr Extremwettereignissen, die sich in den vergangenen 15 Jahren entwickelt haben, können die Sturmfluten um einen Meter höher ausfallen als zuvor. Was diese Daten für manche Stadtgebiete in den kommenden Jahrzehnten bedeutet, mag man sich kaum ausmalen.

Lesumsperrwerk Grohn
Dank des Lesumsperrwerks gelangt man von Grohn ins Werderland.
Lesumsperrwerk Brücke
Die Brücke kann zu Fuß oder auf dem Fahrrad überquert werden.
Lesumsperrwerk Schiffsschleuse
Die Leitwarte überblickt die Schiffsschleuse und die anderen technischen Elemente.
Hubbrücke Lesumsperrwerk
Für Schiffe mit hohen Mastaufbauten wird die Hubbrücke hochgezogen.
Durchfahrtshöhe Lesumsperrwerk
Anzeigetafeln machen auf die aktuelle Durchfahrtshöhe für Schiffe aufmerksam.
Lesumsperrwerk Werderland
Das Lesumsperrwerk erstreckt sich von einem Lesumufer zum anderen.
Lesumsperrwerk Schiffsschleuse
Technische Einrichtungen und eine malerische Flusslandschaft – rund um das Lesumsperrwerk gibt es viel zu entdecken.
Schiffe an der Schlachte
Außergewöhnliche Sehenswürdigkeiten: Schiffe an der Schlachte in Bremen

Bremens maritimen Charme kann man auch an der Schlachte erleben, wo es unter anderem stolze Traditionssegler zu bestaunen gibt.

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Außergewöhnliche Sehenswürdigkeiten: <br>Getreideverkehrsanlage „Der Koloss“

Die Getreideverkehrsanlage ist an der Weser in Walle zu bestaunen. In Bremen gibt es wenige andere Bauten, die so gewaltige Ausmaße besitzen.

Autorenbild Kristina Bumb

Von Kristina Bumb

Für die Leserinnen und Leser außergewöhnliche Orte erkunden und interessante Menschen kennenlernen – das macht den Beruf der rasenden Reporterin so spannend.

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