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True-Crime-Podcast: „Mord Nordwest“

Dirk Blumenthal und Jochen Grabler von „buten un binnen“ berichten über historische Kriminalfälle aus Bremen

Ob Doku, Hörspiel, Wissen oder wahre Kriminalfälle: Podcasts gibt es mittlerweile unzählige. Aus der großen Auswahl stellen wir besondere Formate mit Regionalbezug vor – dieses Mal: „Mord Nordwest“. Der True-Crime-Podcast von „buten un binnen“ wurde auf Anhieb zum Erfolg. Wir haben uns mit einem der Macher getroffen und wollten von ihm wissen, was die Geschichten so besonders macht.

„Mord Nordwest“ – das sind Dirk Blumenthal und Jochen Grabler. Erstgenannter ist seit über 30 Jahren Kriminalreporter für Radio Bremen und hat in dieser Zeit einiges hautnah miterlebt: ob in Gesprächen mit der Polizei oder aber mit den Opfern. Jochen Grabler ist Leiter der Rechercheredaktion bei Radio Bremen und bringt ebenfalls eine 30-jährige Berufserfahrung als Journalist mit. Seit Ende Januar läuft die zweite Staffel. Jeden Donnerstag gibt es neue Folgen – noch bis zum März.

Dirk Blumenthal und Jochen Grabler nebeneinander
Aktuell läuft die zweite Staffel des True-Crime-Podcasts „Mord Nordwest“ mit Dirk Blumenthal (links) und Jochen Grabler. Radio Bremen

Wie haben Sie mit Dirk Blumenthal zusammengefunden?

Jochen Grabler: Wir kennen uns seit über 30 Jahren und haben schon viel zusammen gearbeitet und gemacht. In der zweiten Staffel des Podcasts gibt es wieder zahlreiche Fälle, an denen wir damals dran waren. Die Idee für den Podcast ist mir gekommen, als ich festgestellt habe, dass das Interesse an wirklichen Kriminalfällen offenbar sehr groß ist. Wir haben mit Dirk Blumenthal einen Kollegen in unseren Reihen, der irre große Erfahrungen in dem Bereich mitbringt und einen umfangreichen Schatz an Fällen miterlebt hat. Er ist zwar mittlerweile im Ruhestand. Aber ich habe ihn trotzdem gefragt, ob er Lust hat, über die Fälle zu reden – und das hatte er. So sind wir schließlich zusammengekommen.

Wie ist es, über wahre Verbrechen zu sprechen?

Jochen Grabler: Na ja – über Dinge zu reden, die wirklich passiert sind, ist unser tägliches Brot. Aber wenn wir über wahre Verbrechen sprechen, können wir nicht in jeder Beziehung ganz frei alles erzählen. Das sind ja oft sehr grausame Geschichten und möglicherweise hören das auch Angehörige. Wir denken zumindest schon darüber nach, dass wir den Hinterbliebenen nicht jedes Detail zumuten möchten. Wir haben bei manchen Fällen, Details weggelassen. Ich hatte beispielsweise das psychologische Gutachten von einem Kindermörder auf meinem Tisch. Das war sehr detailliert – da erzähle ich natürlich nicht alles drüber.

Wenn wir wahre Fälle mit menschlichen Schicksalen bearbeiten, dann fragen wir uns zuallererst: was können wir für die Opfer tun? Wir können ihre Geschichte erzählen. Das ist auch eine Funktion von Gerichtsverfahren: Die Geschichte der Opfer wird noch einmal erzählt. Es wird an sie erinnert, damit sie nicht in Vergessenheit geraten. Und zum anderen erzählen wir die Geschichten so, dass auch die Hinterbliebenen damit leben können. Da ist uns ganz wichtig. Wir wollen den Podcast keinesfalls voyeuristisch gestalten.

Außerdem schauen wir immer, ob es noch eine zweite Ebene gibt, über die wir reden können. Ein Beispiel dafür ist der Fall Carmen Kampa – ein uralter Mordfall, über den wir in der ersten Staffel gesprochen haben. Die zweite Geschichte dahinter ist: Wie kommt es eigentlich zu solch krassen Fehlurteilen wie hier, als ein Falscher für ein Verbrechen hinter Gitter kam? Wie kann es sein, dass Polizei und Staatsanwaltschaft – und am Ende auch ein Richter – sich so auf den einen Täter fokussieren, dass sie ganz wichtige Tatsachen außer Acht lassen und ihnen am Ende das Urteil um die Ohren fliegt? Wir wollen also auch zeigen, wie Kripo Staatsanwaltschaft arbeiten und vor allem, wie das Rechtssystem funktioniert – oder eben auch nicht.


„Wir kramen in unserem eigenen Gedächtnis und wählen dann die Fälle aus.“


Wie werden die Fälle ausgewählt?

Jochen Grabler: Unser Anspruch ist, dass mindestens einer von uns in die jeweilige Geschichte involviert gewesen sein muss. Also kramen wir in unserem eigenen Gedächtnis und wählen dann die Fälle aus. Andererseits ist wichtig, dass die Verbrechen überregional für Aufsehen gesorgt haben. Denn wir produzieren nicht ausschließlich für ein Bremer Publikum. Und zu guter Letzt geht es auch immer darum, ob es in dem jeweiligen Fall noch eine zweite Ebene gibt, über die wir reden können.

Gab es schon einmal einen Fall, über den Sie nicht berichten konnten?

Jochen Grabler: Nein, das gab es noch nicht. Aber man muss natürlich aufpassen, was man so sagt. Wir bewegen uns im juristischen Rahmen. Wir müssen uns sehr genau an die Fakten halten. Das bedeutet, dass hinter jeder Folge eine umfangreiche Recherche steckt. Wir arbeiten uns in sämtliche Akten, Materialien, Berichterstattungen, Gerichtsdokumente, Mitschriften von Prozessen, Anklageschriften und Gutachten gründlich und ausführlich ein.

Wie läuft die Recherche zu den Fällen? Gibt es eine Aufgabenteilung?

Jochen Grabler: Ich hatte zu Beginn die Hoffnung, dass wir uns bei der Recherche aufteilen können. Doch wir machen tatsächlich beide die gleiche Arbeit. Das kann auch mal mehrere Tage dauern. Wir wühlen uns durch alles an Material, das wir kriegen können. Dazu gehört auch unser sehr umfangreiches Archiv – sowohl vom Fernsehen als auch vom Hörfunk. Wir schauen uns alte Medienberichterstattungen an, greifen in unsere privaten Archive und gucken uns Dinge an, die nicht öffentlich wurden, zum Beispiel Anklageschriften. Manchmal sind das schon beängstigende Stapel von Papier, die es dann durchzuarbeiten gilt. Aber das ist es allemal wert!


„Es ist mir wirklich sehr, sehr schwergefallen die Distanz zu halten.“


Stoßen Sie auch mal an Ihre Grenzen?

Jochen Grabler: So ist es uns direkt in der ersten Folge der zweiten Staffel ergangen. Der Fall Kevin ist ein Fall, der weder an Dirk noch an mir spurlos vorbeigegangen ist – damals schon nicht. Und auch jetzt hat uns diese Geschichte persönlich wieder sehr beschäftigt. Das ist oft so, wenn Kinder Opfer sind. Ich habe mich beim Einlesen wieder genau an die damalige Zeit erinnert, als der Fall frisch und ich als Reporter unterwegs war.

Es ist mir in meiner nunmehr 30-jährigen journalistischen Laufbahn nie mehr so gegangen. Es ist mir wirklich sehr, sehr schwergefallen, die Distanz zu halten und den Fall im Nachgang auf Abstand zu kriegen. Ein solcher Fall kann einen bis in die Träume verfolgen. Das ist kein Wunder, wenn man die Dokumente liest, die wir gelesen haben. Davon übernehmen wir immer nur einen Teil in die Folgen. Ich musste den Fall für mich am Ende nochmal ganz persönlich abschließen und bin zu Kevins Grab auf dem Waller Friedhof gegangen.

Was macht „Mord Nordwest“ als Podcast so besonders?

Jochen Grabler: Besonders ist auf jeden Fall, dass wir beide persönlich in die Fälle involviert waren und auch unsere Erinnerungen mit dem Publikum teilen. Das ist bei einigen anderen Podcasts am Anfang auch so gewesen, aber mittlerweile eher selten.

Außerdem haben wir einen besonderen Vorteil durch die Fülle an Audiomaterial, was uns durch das Fernseh- und Hörfunk-Archiv zur Verfügung steht. Wir müssen also nicht erzählen, was der Staatsanwalt damals gesagt hat, sondern wir können den Staatsanwalt selbst hören. Wir haben beispielsweise sogar den Originalton von der Urteilsverkündung im Gerichtssaal von einem historischen Fall aus den 1950er-Jahren. Dirk hat den Fall des „Tango-Jüngling“ mal für einen langen Film aufgearbeitet und ist auf dieses Tondokument gestoßen. Früher durften noch Aufnahmegeräte mit in den Gerichtssaal genommen werden. Genau so eine Aufnahme hat er im Archiv gefunden. Und so hören wir die Urteilsverkündung, damals live bei Radio Bremen. Das macht unseren Podcast auf jeden Fall besonders.

Wie ist die Resonanz bisher?

Jochen Grabler: Klar gibt es immer mal wieder kritische Stimmen. Aber das überwiegende Feedback ist sehr positiv – auch aus dem juristischen Bereich und von Leuten, die damals in die Fälle involviert waren. Von denen gibt es immer wieder Lob, genau wie von Kollegen. Wir haben aus dem Stand ein bemerkenswert großes Publikum angesprochen – auch mit dem regionalen Aspekt. Das macht uns schon ein bisschen stolz.


„Als nächstes kommt – leider – noch einmal ein sehr dramatischer Fall.“


Wird es eine dritte Staffel geben?

Jochen Grabler: Ob es eine dritte Staffel geben wird, wissen wir ehrlich gesagt noch nicht. Das entscheiden wir, wenn wir sehen, wie groß das Interesse an der zweiten Staffel war. Genügend Fälle gibt es noch.

Welche Fälle behandeln Sie denn noch in den Folgen der zweiten Staffel?

Jochen Grabler: Unsere Hörer können noch ein paar sehr interessante Folgen erwarten. Der Fall der Bunkermorde ist jetzt abgeschlossen und als nächstes kommt – leider – nochmal ein sehr dramatischer Fall, der wirklich viele in Bremen bewegt hat. Er ist bis heute ungeklärt. Da geht es um das Verschwinden und die Ermordung von Adelina. Das Kind verschwand in Kattenturm auf der Straße. Bisher gibt es nur Mutmaßungen, wer es gewesen sein könnte, aber mehr auch nicht. Die Kripo fahndet bis heute und rollt den Fall gelegentlich neu auf.

Außerdem wird es noch eine besondere Folge geben, in der es gar nicht um einen Mord geht – beziehungsweise nicht klar ist, ob es überhaupt einen Mord gegeben hat. Im Fall Jutta Fuchs verschwindet eine Frau von jetzt auf gleich, und keiner weiß, wo sie ist. Die Polizei denkt, dass sie den Täter hätte, kann ihn aber nicht dingfest machen, weil die Indizienlage schwierig ist. Lange, lange nach der Tat kommt es irgendwann zu einem Prozess auf einer sehr wackeligen Basis. Mitten im Prozess suchen Staatsanwaltschaft und Kripo noch einmal nach Spuren. Manche mögen sich vielleicht erinnern, denn es ist erst ein paar Jahre her: Auf der Suche nach einer Leiche oder einer Tatwaffe wurde ein ganzer See in Bremen-Nord ausgepumpt. Das mögliche Verbrechen ist bis heute nicht aufgeklärt.

Zum Schluss erwartet uns noch ein Fall, der überhaupt nicht mit Mord und Totschlag zu tun hat, aber der trotzdem bundesweit für wahnsinnig viel Aufsehen sorgte. In den 1990er-Jahren wurden in Bremen in einer sehr großen Polizeiaktion Redaktionen durchsucht – unter anderem auch die, in denen wir gearbeitet haben. Das war der Tag, an dem die Kripo plötzlich bei uns in den Büros stand und nach einem Papier gesucht hat. Es bleibt also bis zum Schluss spannend!

Wer den Podcast „Mord Nordwest“ hören möchte, kann das auf Spotify, Apple Podcasts und in der ARD Audiothek machen. Jeden Donnerstag gibt es aktuell neue Folgen der zweiten Staffel – noch bis zum 2. März 2023.

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Von Sarah Meyer

Als waschechtes Küstenkind liebe ich alles, was der Norden zu bieten hat. Vor einigen Jahren zog es mich von der Wurster Nordseeküste in die Hansestadt – und jetzt schlägt mein Herz für die Weser.

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