Gröpelingen im Fokus
Vom norddeutschen Dorf zum Stadtteil der 100 Sprachen
Man glaubt es kaum, aber einst war Gröpelingen ein ziemlich beschauliches Dörfchen auf einem Dünenrücken. Bauernfamilien hatten sich hier angesiedelt, weil das Land zwischen Blockland und Weser fruchtbar war und weitgehend von Überschwemmungen verschont blieb. Nach und nach entdeckten die Stadtbremerinnen und -bremer die ländliche Gegend als Sommerfrische für sich. Ab dann verbrachten sie ihre Wochenenden auf malerischen Gutshöfen und in romantischen Ausflugslokalen.
Damit war es spätestens vorbei, als in den 1890er-Jahren die Verstädterung Gröpelingens mit dem Bau der Häfen und der entsprechenden Unterkünfte für die große auswärtig angeworbene Arbeiterschaft begann. Hafenwirtschaft und Schiffbau boomten. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es deswegen zur nächsten großen Einwanderungswelle. Vor allem Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter aus der Türkei zogen in die eigens für sie errichteten Wohnblöcke, um in der Werft oder in den Getreideverkehrsanlagen zu arbeiten.
Mit dem Niedergang der Hafenwirtschaft und vor allem der dramatischen Schließung der AG Weser im Jahr 1983 änderte sich die Situation jedoch schlagartig. Ein Großteil der zuvor so lange sicher beschäftigten Gröpelinger Bevölkerung fand sich plötzlich arbeits- und perspektivlos wieder. Armut und soziale Probleme waren unter anderem die Folgen, die lange nur schwer in den Griff zu bekommen waren.
Gröpelingen: 120 Nationen und viele Kinder
Heute leben rund 37.700 Menschen aus insgesamt 120 Nationen im Stadtteil. Sie verteilen sich auf die Ortsteile Ohlenhof, Gröpelingen, Lindenhof, In den Wischen sowie Oslebshausen. Mehr als die Hälfte hat ausländische Wurzeln. Diese bunte Mischung stelle zwar nach wie vor eine große Herausforderung für den Stadtteil und seine Infrastruktur dar, so Christiane Gartner. Sie berge aber auch ein riesiges Potential in sich. Gartner ist Geschäftsführerin vom Verein Kultur vor Ort, der unter anderem das Quartiersbildungszentrum Morgenland sowie das Atelierhaus Roter Hahn mit Kinderatelier und Galerie betreibt.
„Gröpelingen wird oft unterschätzt“, erklärt sie. „Dabei ist es ein Stadtteil in traumhafter Lage, mit einer fantastischen Nahversorgung und Infrastruktur, vielen engagierten Menschen und den verschiedensten Kultureinrichtungen. Insbesondere die Mehrsprachigkeit verstehen wir hier als wichtige Ressource, die wir unbedingt weiter ausbauen möchten.“
Sprache als Basis für Teilhabe an Gesellschaft und Bildung: Daran wird unter anderem in den zahlreichen Projekten des Kultur vor Ort e.V. gearbeitet. Der Verein kümmert sich seit mehr als 20 Jahren maßgeblich um die soziale Stadtteilentwicklung in Form von Marketing, Kultur und Bildung. Er wurde von Stadtteilbewohnerinnen und -bewohnern als gemeinnütziger Verein gegründet. Heute sind diverse Schulen, Wirtschaftsunternehmen und viele engagierte Einzelpersönlichkeiten Mitglied.
„Gröpelingen ist ein sogenanntes Arrival Quarter: ein Stadtteil, der eine hohe Qualität für Menschen bietet, die ankommen müssen“, erläutert Christiane Gartner. „Die meisten Migrantinnen und Migranten finden sich hier schnell zurecht und knüpfen Kontakte in ihren eigenen Communities. Zudem sind wir Bremens jüngster Stadtteil. Nirgends in der Stadt leben mehr Kinder als hier – entsprechend groß ist das Angebot an Schulen und Kindergärten.“
Kunst, Kultur und Sprachenvielfalt
Die Kunst-, Kultur- und Bildungsprojekte des interdisziplinären Teams von Kultur vor Ort sind so vielfältig wie der Stadtteil selbst. Sie reichen vom Internationalen Erzählfestival „Feuerspuren“, das 2019 bereits zum 13. Mal stattfand, über kleine Nachbarschaftstreffs bis hin zu Malkursen, Storytelling-, Tanz-, Schauspiel- und Literaturangeboten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Wesentlicher Bestandteil des Stadtteilangebotes sind jedoch „SprachBildungsprogramme“.
„Wir sehen vor allem in der Sprachenvielfalt ein immenses Potential. Denn Sprache spielt für Bildungsprozesse eine wichtige Rolle“, so Christiane Gartner. Dabei gehe es zum einen darum, die jeweiligen Heimatsprachen lebendig zu halten, aber auch Deutsch als gemeinsame Bildungssprache zu etablieren und vor allem: miteinander ins Gespräch zu kommen. „Familiy-Literacy-Programme, die vielfach an den hiesigen Schulen umgesetzt werden, führen Kinder, Lehrerinnen und Lehrer sowie Eltern zusammen. Das sind Begegnungen auf Augenhöhe, um alle Beteiligten in entspannter Atmosphäre an einen Tisch zu bringen. Und sie werden sehr gut angenommen“, berichtet Christiane Gartner aus dem Alltag im „Stadtteil der 100 Sprachen“.
Mehr über den Stadtteil Gröpelingen gibt es online: www.kultur-vor-ort.com, www.made-in-gröpelingen.de, www.gröpelingen-bildet.de und www.weserfähre-bremen.de.